von Veronique Brüggemann
Erstsemester erkennt man sofort. An der Art, wie sie gehen: langsam, sich vortastend. Ständig bleiben sie mit ihrem Blick irgendwo hängen, lesen Aushänge und sehen immer so aus, als suchten sie den richtigen Weg. Gut, dass immer jemand an der Pforte sitzt, der ihn kennt.
So wie Regina Guggenheim. »Die ersten Tage war viel Betrieb, ich hatte keine ruhige Minute«, berichtet die Studentin, die ab und an als Pförtnerin arbeitet, aus ihrer Schicht. »In fünf Stunden kamen etwa sieben Erstsemester an mir vorbei und erkundigten sich nach dem Weg.« Führt der sie in die Bibliothek, dann müssen sie bei Regina ein Stück weißen Karton, chipkartengroß mit blauem Logo, gegen einen Schlüssel tauschen. 28 solcher Studentenausweise hat die Hochschule für Jüdische Studien (HfJS) in diesem Semester für ihre Neuankömmlinge ausgestellt. Sie sind druckfrisch und tragen die Namen und Studiengänge der »Erstis«. Jenia Krougliak ist eine von ihnen. »Ich war anfangs auch ein bisschen orientierungslos«, gesteht sie, »aber ich fand es toll, dass die Leute offen sind und einem helfen.«
An einer Hochschule mit nur 136 Studenten fallen neue Gesichter schnell auf. Auch Jenia hat gemerkt, dass an der HfJS alles ein wenig anders ist als an anderen Instituten, auch die »Ersti«-Begrüßung. »Ich fand sie schön, viel familiärer als an der Uni, wo man mit zig anderen in einem Raum sitzt und die Leute vorne gar nicht versteht«, sagt die frisch eingeschriebene Staatsexamensstudentin. An der HfJS wird stattdessen gemeinsam Hebräisch gelernt, in einer Woche Intensivkurs vor Vorlesungsbeginn. »Ich war erstaunt, wie viel ich da gelernt habe«, sagt Jenia.
Das war auch gut so, denn der Rektor Johannes Heil begrüßte die Neuen am ersten Vorlesungstag mit einem herzlichen »Schana Towa!« und einer Reihe weiterer Segenswünsche auf Hebräisch. Zwar gab es vor dem Sprachkurs bereits eine Informationsveranstaltung zu Studienordnung und Co., aber zu der kleinen Begrüßungsfeier kamen trotzdem fast alle »Erstis«.
Dort konnten sie bei koscher Brötchen und Obst Dozenten, Rabbiner, Verwaltung, Studierendenvertretung und ein ganzes Heer von Studienberatern kennenlernen. »Wir heißen jeden in der ›Familie‹ herzlich willkommen«, sagte Heil, »Und ich kann mit Stolz sagen: Egal mit wie viel Prozent jemand studiert, hier ist jeder gleich wichtig.« Und deswegen ist mit dem Begrüßen noch lange nicht Schluss. Am Montag wurde die Sukka geschmückt, in der heute spontan ein Semesterauftakts- Begrüßungs-Sukkot-Gottesdienst mit anschließendem Beisammensein stattfinden wird. Es mache die Hochschule zu etwas Besonderem, sagt Rektor Johannes Heil, »dass das Religiöse genauso dazugehört wie das Akademische«. Obwohl wegen der Feiertage noch nicht allzu viele Vorlesungen stattfanden, haben die Erstis sich ihr Urteil gebildet: »Ich fühle mich wohl«, sagt Jenia Krougliak, »es ist eine tolle Atmosphäre, man unterhält sich, so macht das Studieren auch bestimmt Spaß.«
Regina ist mittlerweile im neunten Semester und fast fertig. Sie erinnert sich: »Ich habe im ersten Semester Kurse gemacht, die ich nicht brauchte, aber die waren sehr interessant.« Auch damals wurden die Neuen begrüßt: »Das gab es, aber nicht so wie heute. Es wurde nur von der Studierendenvertretung gemacht, ohne Dozenten. Nach dem Treffen wurden wir noch zu jedem der Gebäude geführt, die mit der Hochschule zu tun haben, also Mensa, Verwaltung und Friedrichstraße.«
Dieses Jahr gab es nur die kleine Runde durch die Bibliothek. Und da war er dann wieder, dieser suchende und fragende Gesichtsausdruck. »Wie soll ich mich denn hier zurechtfinden?«, liest man in den Augen und »Muss ich den Talmud wirklich auf Hebräisch lesen?«
Die Doktorandin erklärt, die »Erstis« schauen sich suchend um. So wird es wohl noch eine Weile gehen, wahrscheinlich genau ein Jahr lang. Dann kommen die Nächsten, sehen sich schüchtern um und fragen die »alten Hasen« im zweiten Studienjahr nach dem Weg.
Die Autorin ist Studentin an der HfJS.