von Gisela Dachs
Sheldon Ritz steht, gelinde gesagt, unter Stress. Aber er bewahrt immer Haltung, das gehört schließlich zu seinem Beruf. Als Delegationsdirektor des King David Hotel hetzt er in diesen Tagen wieder einmal von einer Koordinierungsbesprechung zur anderen: mit dem Inlandsgeheimdienst Shabak, dem israelischen Außenministerium und den Botschaften, die sich für den Besuch eines hochrangigen Gastes rüsten. Perfekt untergebracht werden mussten Kanzlerin Angela Merkel mit sieben Ministern, der amerikanische Vize-Präsident Dick Cheney, der gleich das ganze Hotel buchen wollte und sich schließlich mit der Hälfte an Zimmern zufrieden geben musste, der russische Außenminister, der Präsident von Ungarn, der Ministerpräsident von Sri Lanka, die amerikanische Aussenministerin. Und das, fügt Ritz bei einem, von mehr als einem Dutzend Telefonaten unterbrochenem Gespräch, in der Lobby hinzu, seien nur die wichtigsten Namen.
Man kann gut verstehen, warum sie alle ins erste Jerusalemer Luxushotel mit Blick auf die Altstadt wollen. Das King David ist eine perfekt erhaltene Oase mit dem Glanz aus einer vergangenen Zeit. Wer hier absteigt, befindet sich in allerbester Gesellschaft. Dem lässt sich mittlerweile sogar buchstäblich »nachgehen«. Aus vier vollen Gästebüchern wurden die Unterschriften prominenter Gäste ausgewählt, deren Namen sich nun – in vergrößertem Original – auf einem schmalen Marmorteppich in der Mitte des Hauptgangs aneinanderreihen. Auf Fliesen verewigt sind so unter vielen anderen die Einträge von Winston Churchill 1934, Arturo Toscanini 1937, Otto Preminger 1960, Marc Chagall 1962, Yul Brynner 1965, Günter Grass 1967, Gerald Ford 1972, Richard Burton und Elisabeth Taylor 1975, Michail Gorbatchow 1992, König Hussein von Jordanien 1995, Helmut Kohl 2004. Fast ehrfürchtig schreitet der gemeine Gast an dieser langen Liste entlang.
Jeder Besuch hat eine Geschichte. Zu den ganz großen historischen Ereignissen zählt die Anwesenheit von Anwar el-Sadat am 19. November 1977. An diesem Tag empfängt Regierungschef Menachem Begin den ägyptischen Präsidenten bei dessen Überraschungsbesuch in Israel. Er soll den Weg bahnen für das erste Friedensabkommen Israels mit einem arabischen Nachbarn, das dann zwei Jahre später in Camp David unterzeichnet wird. Als sich das Hotelpersonal kurzfristig auf Sadats Eintreffen vorbereiten muss, ist die Aufregung groß. Doch mehr als einen angenehmen Rahmen kann es nicht bieten, um die frostige Atmosphäre beim Abendessen der beiden Delegationen aufzuwärmen. Sadat, der zwischen Begin und Moshe Dayan sitzt, stochert stumm in seinem Essen herum, auch die anderen schweigen über ihren Tellern. Dann erhält Sadat einen Anruf aus Äygpten, der das Eis bricht. Er war Großvater geworden.
Als viele Jahre später das Königreich Jordanien offiziell mit Israel Frieden schließt, wird das Vertragswerk zwar nicht im Hotel unterzeichnet, aber auf dessen beeindruckendem Marmortisch, der im Raum neben der Bar steht. Auf der Suche nach einem angemessenen Möbelstück für die Versöhnungszeremonie von 1995 zwischen König Hussein und Yitzhak Rabin war das Außenministerium im King David fündig geworden und hatte den Tisch mit einem Lastwagen in die Arava-Wüste transportieren lassen.
Die Vergangenheit des Hotels ist voller großer und kleiner Anekdoten, deshalb gilt das King David längst als ein Symbol für die Geschichte des Staates Israel – einschließlich jener Wirren vor seiner Gründung.
1930 legen junge jüdische Bauarbeiter aus Russland, mit Nickelbrillen und einem entschiedenen Pionierblick in den Augen, letzte Hand an das neue Hotel, das im nächsten Jahr eröffnet werden soll. Auftraggeber ist die ägyptisch-jüdische Bankiersfamilie Mosseri, der bereits das berühmte Mena-House mit Blick auf die Pyramiden gehört. Ihrer Meinung nach muss es auch in Jerusalem einen Ort voller Glanz geben, mit Sicht auf Felsendom, Grabeskirche, Zionsberg. Die Pläne stammen von dem Luzerner Architekten Emil Vogt. Er plant ein palastartiges Gebäude mit vier Stockwerken (viel später kommen noch zwei weitere hinzu), eine Luxusherberge im britischen Mandatsgebiet mit reichhaltigen Ornamenten – die etwas über die Vorstellung eines Schweizers vom Orient und der Welt unter den alten Juden aussagen. So lässt sich der koloniale Festungscharakter des Hauses vielleicht am besten erklären.
Das damalige Personal besteht aus dunkelhäutigen Sudanesen und Ägyptern, sie tragen eine weiße Galabiya und einen roten Fes. Dass hier sogar beim Sport Wert auf Eleganz gelegt wird, zeigt ein Foto von 1935 mit dem arabischen Jerusalemer Bürgermeister Ragheb Nashashibi. Beim Tennisspiel auf dem hoteleigenen Platz trägt er – neben seinem Fes – Anzug, Krawatte und dunkle Lackschuhe. Zu dieser Zeit aber hatte die arabisch-jüdisch-britische »Koexistenz« bereits tiefe Risse.
Als es ein Jahr später zum arabischen Aufstand kommt, schlägt die britische Armee ihr Quartier im King David auf. Später mietet die Mandatsverwaltung den gesamten Südflügel des Hotels. In die Küche dieses Südflügels schleppen am Vormittag des 22. Juli 1946 sechs Aktivisten des Irgun – jener jüdischen Untergrundorganisation, die damals gegen die britische Herrschaft in Palästina kämpfte und vom späteren Ministerpräsidenten Menachem Begin angeführt wurde – sieben Milchkannen voller Sprengstoff. Nachdem die Zeitzünder eingeschaltet sind, weisen sie telefonisch auf die Bomben hin und appellieren, das Hotel zu evakuieren. Doch die Warnungen werden ignoriert. Die Bilanz: Mehr als 80 Tote und viele Verletzte. Zu den Opfern gehören vor allem Briten, aber auch Araber und Juden. Über die Frage, warum das Hotel nicht geräumt wurde, wird bis heute gestritten. War es britische Arroganz oder überstieg das Attentat ganz einfach das Vorstellungsvermögen der Mandatsmacht? In jedem Fall blieb das King David auch nach dem Anschlag noch das Verwaltungszentrum der Briten in Palästina bis zum Mai 1948 – dem Ende ihrer Mandatschaft und dem Zeitpunkt der Gründung des Staates Israel.
Auf einem der vielen historischen Fotos in der Lobby ist dokumentiert, wie 1948 ein Team der Vereinten Nationen die Flagge des Roten Kreuzes einzieht und die der UNO hisst, bevor das Hotel den israelischen Behörden übergeben wird. Auf einem anderen sieht man Ministerpräsident David Ben Gurion 1949 bei einem Hotel-Empfang zu Ehren der ersten israelischen Regierung. An weniger prominenter Stelle, im Treppenaufgang, sind auch die weniger offiziellen Schnappschüsse ausgestellt: Jimmy Carter, wie er verschwitzt in Shorts mit seinen Bodyguards vom Joggen zurückkommt. Moshe Dayan, an einem Tisch auf der Hotelterrasse, in Dokumente versunken. Liz Taylor, ihre Handtasche fest im Griff, neben Richard Burton mit abweisender Miene. Oder der unvergessliche Marcello Mastroianni vor einem Mikrofon, genüsslich an einer Zigarette saugend.
Trotzdem – oder gerade wegen dieser ständigen Prominenz – wird großer Wert auf ganz normalen Hotelbetrieb gelegt. Um 11 Uhr vormittags ist die Lobby voller Touristen aus Frankreich, denn ein junges Paar aus Paris heiratet am Nachmittag in einem der prunkvollen Säle. Im Frühstückszimmer räumen Kellner mit schwarzer Fliege und weißen Jacketts gerade die letzten Gedecke ab. Viele von ihnen sind Palästinenser aus Ostjerusalem und arbeiten schon seit Jahrzehnten hier. Ihre Anwesenheit hat damit zu tun, dass die legendäre arabische Gastfreundlichkeit immer schon einen besseren Ruf genoss als die jüdisch-israelische. Dass sich die meisten der insgesamt 300 Angestellten lange kennen, trägt dazu bei, dass die Hotelmaschinerie so reibungslos funktioniert.
Dies sei natürlich das A und O eines Weltklassehotels, sagt Delegationsdirektor Sheldon Ritz. Ein wenig lebt er aber dennoch immer in Sorge, dass trotz aller Planung irgendetwas durcheinander geraten könnte. Wenn sich zum Beispiel ein hochrangiger Gast im letzten Moment entscheidet, seinen Aufenthalt zu verlängern. Denn dann müssten normal Sterbliche umquartiert werden, was durchaus Ärger verursache. Denn schließlich zahlen auch sie eine Menge Geld. Ab 400 Dollar pro Nacht für ein einfaches Zimmer bis zu 3.200 Dollar für die Royal Suite. An Feiertagen noch mehr.
Sheldon Ritz kümmert sich besonders gern um die Stammgäste, die von ihm bei der Ankunft – je nach Besucherfrequenz – mit »welcome back« oder »welcome home« begrüßt werden. Javier Solana gehöre in diese Kategorie, und mittlerweile auch Frank-Walter Steinmeier. Manche Prominente seien schweigsam, andere plauderten viel, wenn er sie dann mit dem Aufzug in ihr Zimmer führe. Tony Blair atme jedesmal erleichtert auf, wenn er das King David betrete, und zeige sich äußert kontaktfreudig.
In diesem Frühjahr herrschte ein ungewöhnlicher Hochbetrieb. Das ist nicht immer so. Während der beiden Intifadas und nach dem Libanonkrieg vom Sommer 2006 gab es erst einmal eine Flaute. Aber dann dauerte es nicht lange, bis der Nahost-Polittourismus umso stärker einsetzte. Man dürfe nicht vergessen, sagt Ritz, »je mehr es knallt, umso mehr Abgesandte kommen zu uns«. Zu solchen Zeiten ist das King David Hotel dann nicht nur ein Symbol für die Geschichte des Landes, sondern zugleich eine Art Nabel der Welt.