Erst verrissen, dann verteidigt
»Das Parlament« und ein fragwürdiges Buch
zur NS-Geschichte
Täter, Opfer, Zuschauer heißt ein Buch des Historikers Raul Hilberg über die Schoa. Die Gewichtung dieser Gruppen ändern sich offenbar in der öffentlichen Wahrnehmung: Die Deutschen werden zu Opfern, die Täter reduzieren sich auf die großen Verbrecher, von Hitler bis Göring. »Das Volk stand mehrheitlich nicht hinter der NS-Regierung, auch wenn es einige innen- und außenpolitische Erfolge bejubelte« – diese These vertritt nun Konrad Löw in seinem Buch Das Volk ist ein Trost. Deutsche und Juden im Urteil jüdischer Zeitzeugen 1933 bis 1945. Das Ziel dieser deutsch-nationalen Ehrenrettung des Emeritus für Politikwissenschaften aus Bayreuth ist offenbar der Anschluß an antiwestliche Tra- ditionen der deutschen Rechten. Dort kennt sich Löw aus. In der »Nationalzeitung« und der »Jungen Freiheit« ist er ein gern gesehener Interviewpartner.
Die Wochenzeitschrift »Das Parlament«, die vom Bundestag herausgegeben wird, hat Löws Buch am 13. März verrissen. Die Rezensentin, Ursula Homann, nannte es »eine Zumutung für alle Opfer, die nicht die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Deutschen erfahren haben, sondern verraten und verkauft worden sind.« Viele verharmlosende Formulierungen Löws, die den Eindruck verstärken, werden in der Rezension gar nicht angesprochen. So nennt er SA-Mörder »Rabauken« und den Haß auf Juden und politische Gegner »Animositäten«.
Zwei Wochen später ruderte die Redaktion dennoch zurück. Sie halte »dieses Pauschalurteil« der Rezensentin »ebenso wie verschiedene jüdische Zeitzeugen für nicht zutreffend«, hieß es in einer langen »Berichtigung«, in der sich die Redaktion zudem für eine verkürzte Überschrift entschuldigt und Homann Fehler beim Zitieren vorwirft. Mit den »Zeitzeugen« ist der Publizist Alfred Grosser gemeint, der eine freundliche Würdigung des Löwschen Buches verfaßt hatte. »Gerade ein Verriß muß bis in die Details korrekt sein, und das war er in diesem Fall leider nicht«, sagte der zuständige Redakteur, Alexander Weinlein, der Jüdischen Allgemeinen. Ungewöhnlich ist das Vorgehen dennoch, denn die beiden beanstandeten Formulierungen der Rezensentin sind lediglich ungenau und Verkürzungen in Überschriften sind redaktionel- ler Alltag. Standard in Redaktionen ist zwar, sachliche Fehler bei Bedarf zu korrigieren, nicht aber, daß vermeintliche »Pauschalurteile« plötzlich revidiert werden. Standard sind auch Kontroversen zwischen Autoren und Rezensenten – schließlich sind Rezensionen keine Inhaltsangaben, sondern gelten als Kommentare. Die Redaktion räumt auf Anfrage denn auch ein, es habe massiven Protest von Löw gegeben.
Inhaltlich widerspricht Löws These von der Distanz der Deutschen zum NS-Regime dem Stand der Forschung. Wer verfolgten Juden half, stand in Deutschland fast völlig allein, schrieb Raul Hilberg schon 1992. Beate Kosmala von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand sagte der Jüdischen Allgemeinen, Löws Buch sei eine Zumutung auch für jene Opfer, die »mit Hilfe der wenigen stillen Helden die Verfolgung überleben konnten«. Daß »Das Parlament« ausgerechnet vor diesem Hintergrund Löw zur Seite sprang, empfindet deshalb nicht nur Kosmala als skandalös. Frank Lübberding