von Matthias Reichelt
Literat, Collagist, Zeichner, Maler, Fotograf, Antifaschist, Anarchist, Atheist – all dies zugleich war Erwin Blumenfeld, klein von Statur und ganz groß in seinem Können. Und doch wollte er nie »Dichter sein, nie Künstler, nie Held, nur immer und immer Mensch«.
Bekannt geworden ist Blumenfeld vor allem als experimentierfreudiger Modefotograf für die Zeitschriften Vogue und Harper’s Bazaar in Frankreich und den USA sowie als Verfasser des literarisch faszinierenden, postum erschienenen Einbildungsroman, in dem er sein Leben stilsicher in saloppem Ton aufgeschrieben hat. Doch Blumenfeld war auch ein prägender Dadaist, wie eine von Helen Adkins kuratierte Ausstellung in der Berlinischen Galerie jetzt zeigt.
Geboren 1897 in der Berliner Wilhelmstraße 140 – da, wo heute die SPD-Parteizentrale steht – wächst Erwin Blumenfeld in einer bürgerlichen, assimilierten Familie auf. Die Barmizwa lässt der völlig areligiöse Jugendliche über sich ergehen, weil er sich zur Feier 360 Bücher wünschen darf. 1913 verlässt er das Gymnasium und absolviert eine Lehre als Damenkonfektionär. Den Ersten Weltkrieg erlebt Blumenfeld als Sanitätskraftwagenführer. Sein Plan zu desertieren, wird von der Mutter verraten, Blumenfeld an die Front zurück-geschickt. Krieg, Militarismus, Parteien und Massenaufmärsche sind ihm seitdem verhasst. Über seinen Schulfreund Paul Citroen hat er sehr früh prägenden Kontakt mit avantgardistischen Dichtern und Malern wie Walter Mehring, George Grosz, Else Lasker-Schüler und Mynona (Salomo Friedlaender).
Bereits als Jugendlicher hat Blumenfeld Aquarelle und Zeichnungen gemacht, in die er Zeitungsausschnitte und Schlagzeilen einfügte. Dieses Prinzip der Collage entwickelte er später zur Fotomontage mittels Doppelbelichtung fort. Seine Werke schuf Blumenfeld zum Privatvergnügen. Weil er Autodidakt war, verstand er sich nie als Künstler, nicht einmal als Fotograf, obwohl er dieses Medium so beherrschte, dass er bis heute als einer der großen Lichtbildner gilt.
Die Ausstellung zeigt Zeichnungen, Collagen und Fotografien. Die Themen sind vor allem Frauen, Erotik und die Metropole als Ausdruck der Moderne. Blumenfeld war fasziniert von der modernen, großstädtischen Frau, die er selbstbewusst, aufreizend geschminkt und mit Zigarette zeigt. Aber auch Politik kommt immer wieder vor. Was etwa Hitlers Ernennung zum Reichskanzler 1933 bedeutete, brachte Blumenfeld in einer großartigen, per Doppelbelichtung erzeugten Montage zum Ausdruck: Der versehrte Schädel eines Soldaten verschmilzt deckungsgleich mit einem Hitlerporträt. Dank seiner tiefen Abneigung gegen Militarismus und Reaktion hatte Blumenfeld keine Illusionen über das neue Regime. Frühzeitig emigrierte er mit seiner Familie, erst in die Niederlande und nach Frankreich, von dort gerade noch rechtzeitig vor dem Einmarsch der Deutschen in die USA. 1969 ist Erwin Blumenfeld in Rom gestorben.
Erwin Blumenfeld: »In Wahrheit war ich nur Berliner. Dada-Montagen«, Bis 1. Juni, Berlinische Galerie. Der Katalog zur Ausstellung ist bei Hatje & Cantz erschienen. (224 S., 227 Abb., 24,80 €
www.berlinischegalerie.de