von Clemens Heydenreich
Genau ein Jahr ist es her, da titelte die Bild-Zeitung in blutroten Lettern: »Darf man den Schrecken des Holocaust als Comic zeigen?« Anlaß war die im Ehapa-Verlag erschienene Comic-Novelle Auschwitz des (nichtjüdischen) französischen Autors Pascal Croci. Sechs Monate später sorgte der »Karikaturenstreit« um die Mohammed-Cartoons der dänischen Zeitung Jyllands-Posten für blutige Auseinandersetzungen im Nahen Osten.
Zwei scheinbar verwandte Themen: Hier wie dort hatten sich graphische Populärkünstler »ein Bild gemacht«, auf die Gefahr hin, Empfindlichkeiten einer Personengruppe zu verletzen, der sie nicht angehörten. Sollten sie dies bleiben lassen? Sollten sie ihre künstlerische Freiheit alten und neuen Bilderverboten unterordnen, um Fallstricke zu meiden, in denen sie sich nur verheddern können?
Eine Rückschau auf beide Themen bot am vergangenen Wochenende der 12. Internationale Comic-Salon in Erlangen bei zwei direkt aufeinanderfolgenden Podiumsdiskussionen: zwei Debatten von un- terschiedlichem Reifegrad und Beunruhigungswert – doch nicht ganz ohne Berührungspunkte.
Die von Andreas Platthaus (Frankfurter Allgemeine Zeitung) moderierte Diskussion »Comic und Holocaust« zog der Germanist Gunnar Och sofort auf die allgemeinere Ebene, hin zur Frage, ob es überhaupt statthaft sei, die Schoa ästhetisch zu verarbeiten. Eli Wiesel und Theodor W. Adorno stellten die Frage einst mit dem guten Recht des persönlich versehrten Zeitzeugen. Heute aber heiße das, Schlachten von gestern zu schlagen, meinte Och. 61 Jahre nach der Auschwitz-Befreiung gehe es darum, unter Nachgeborenen haltbare Formen des Gedenkens zu schaffen – und dies sei ohne Ästhetik kaum denkbar. Der Vorwurf, speziell der Comic sei untauglich zur Holocaust-Darstellung, habe mit einem begrifflichen Mißverständnis zu tun. Die sequentielle Bildkunst, die mangels besserer Be- griffe »Comic« genannt wird, hat mit Komik nichts zu tun. Spätestens seit Art Spiegelmans Maus liegt nicht nur auf der Hand, daß ein Comic den Holocaust adäquat ästhetisieren kann, sondern auch wie: mit diskretem, nicht voyeuristischem Blick, mit ästhetischer Verfremdung – und, indem der Autor die eigenen Probleme mit dem Sagen des Unsagbaren gleich mit inszeniert.
Die Comicautorin Elke Steiner bestärkte dies aus eigene Erfahrung. Mit ihren Comics zu jüdischen Themen sei sie bei Lesern der Jüdischen Allgemeinen nie ange- eckt, dafür bei vielen nichtjüdischen des Deutschen Ärzteblatts. Damit war der potentielle Fallstrick angesprochen, das Kontext-Problem. Dasjenige, das die Bild-Zeitung beschwor – die Nachbarschaft von Auschwitz und Entenhausen in einem Verlagsprogramm – ist kein wirkliches. Ein echtes tut sich aber auf, wenn Pascal Croci die Rückschau seines Helden-Paares auf das KZ damit abschließt, daß sie im Serbien der 90er Jahre hingerichtet werden. Auschwitz und Tuzla werden so nicht in ihrem jeweils sehr eigenen Kontext dargestellt, sondern in einem gemeinsamen, als gleichermaßen bedeutsame Auswüchse des Bösen im Menschen.
Um Kontext-Probleme ging es auch im zweiten Podium, bei der Debatte um die Mohammed-Karikaturen. Während der Comiczeichner Ralf König und der Kritiker Denis Scheck die Freiheit der Kunst hochhielten, stellte Andreas C. Knigge die Karikaturen in den Zusammenhang repressiver dänischer Migrationspolitik. Sie seien Fälle politisch gelenkter Kunst zu fragwürdigem Zweck. »Der Auftrag lautete nicht: ›Macht Satire zur Lage des Islam‹, sondern: ›Bildet Mohammed ab, weil wir wissen, daß die das nicht mögen.‹« Jyllands-Posten habe bewußt angestrebt, Samuel Huntingtons Kulturenkriegs-Thesen zu vollstrecken. Die Folge: gelenkte Demonstrationen – und ein vom Iran ausgehender gelenkter Wettbewerb antijüdischer Karikaturen. Knigge verwies auf die intellektuell wohl souveränste Reaktion: den Gegen-Wettbewerb des Zeichners Amitai Sandy, der seine jüdischen Kollegen dazu aufrief, den Tabubruch antisemitischer Cartoons lieber gleich selbst zu vollstrecken. Heraus kamen Ergebnisse von fulminantem, oft bitter traurigem Witz. »Interessant«, so Knigge, »daß die Anhänger der einen Religion über sich selbst lachen kön- nen, während die der anderen Häuser anzünden – wegen Karikaturen, die sie gar nicht kennen.«