Die Botschaft von Chanukka heißt: Wir müssen uns davor hüten, unser inneres Selbst, unsere Grundwerte und Überzeugungen für äußerlichen materiellen Gewinn aufs Spiel zu setzen, unser Zuhause, unser Familienleben auf dem Altar von Karriere und äußerlichem Erfolg zu opfern. Menschen sind vielschichtige Wesen, und für die meisten von uns ist die Seite, die wir unsere engsten Freunde und die Familie sehen lassen, nicht die gleiche Seite, die wir der Welt draußen zukehren. Wir haben eine innere und eine äußere Persönlichkeit. Diese zwei Seiten geraten zuweilen in Konflikt. König Salomon sagte: »Doch gibt es auf der Erde keinen einzigen Menschen, der so gesetzestreu wäre, dass er stets richtig handelt, ohne je einen Fehler zu begehen« (Kohelet 7,20). Aber nur weil wir stolpern und Sünden begehen, bedeutet das nicht, dass wir unsere äußere Person komplett umkrempeln müssen.
verkleidung Vor 100 Jahren lebte in Russland ein Geschäftsmann, der Mitglied einer chassidischen Bruderschaft war. Wenn dieser Mann aus geschäftlichen Gründen nach Sankt Petersburg fuhr, trug er die ganz normale Kleidung eines Kaufmanns; doch wenn er seinen Rebben besuchte, tauschte er seine städtische Kleidung gegen das traditionelle chassidische Gewand. Eines Tages beschloss er, dass er nicht mehr heucheln wolle, und trug seinen städtischen Anzug auch, als er den Rebben besuchte. Der Rebbe sagte zu ihm: »Früher dachte ich, das, was wir sahen, wenn Sie bei uns waren, sei Ihr wahres Ich, und Sie hätten sich für Sankt Petersburg nur verkleidet. Jetzt wird mir klar, dass Sie in Sankt Petersburg Ihr wahres Ich zeigen, und hier tun Sie bloß so, als ob.«
Was aber ist wichtiger: Unser inneres Ich makellos zu bewahren oder unser äußeres Ich? Die Geschichte von Chanukka gibt Aufschluss über dieses Dilemma. Chanukka soll an zwei Wunder erinnern. Das erste ist der Sieg der Makkabäer über die mächtige griechische Armee im Jahr 165 v. d. Z. Das zweite Wunder geschah, nachdem sie den Tempel zurückerobert hatten. Sie fanden im Tempel nur mehr einen einzigen Krug mit Öl, das nicht verdorben war, das heißt, die Menora im Tempel würde nur einen Tag lang brennen. Wunderbarerweise aber reichte das Öl siebenmal länger als erwartet, und der Leuchter brannte acht Tage lang.
Interessant ist, dass wir der beiden Wunder getrennt gedenken. An jedem Abend von Chanukka zünden wir die Kerzen der Chanukkia an, ein Symbol für das Öl-Wunder. Doch unsere Gebete während des Tages (das Abendgebet ist nicht zwingend) werden um ein Extragebet ergänzt, das ausschließlich vom Sieg über die Griechen handelt und das Öl-Wunder außen vor lässt. Ein Wunder feiern wir also vor allem am Abend, das andere Wunder tagsüber.
Ritual Ich meine, die zwei Wunder repräsentieren unsere beiden Selbst. Der Sieg über die Griechen steht für das äußere Ich. Die Tatsache, dass die Makkabäer in die Schlacht zogen, um gegen die schrecklichen religionsfeindlichen griechischen Erlasse zu kämpfen, hieß, die Treue zu Gott in aller Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Das Öl-Wunder geschah innerhalb der Tempelmauern. Es war kein offenkundiges Wunder, das vor aller Augen geschah. Ja, das Öl-Wunder steht für die Reinheit unseres inneren Selbst. In ihm erkannte G’tt an, dass die Makkabäer, als sie mit ihrem äußeren Selbst den Krieg führten, nicht politisch, sondern rein spirituell motiviert waren. Offensichtlich ist das Öl-Wunder im Laufe der Jahrhunderte für uns Juden zum eigentlichen Sinn und Zweck von Chanukka geworden.
Zum ersten Mal taucht diese Deutung im Talmud (Schabbat 21b) auf, der das Öl-Wunder als Grund für Chanukka nennt; aber auch unsere Bräuche bestätigen sie. An Chanukka spielen wir nicht Krieg, sondern essen ölige Lebensmittel wie Krapfen und Latkes – in Erinnerung an das Wunder, das mit Öl zu tun hatte. Das einzige mit Chanukka verbundene religiöse Ritual ist das Kerzenzünden.
Die Tatsache, dass G’tt ein Wunder am Tempel vollbrachte, dem heiligsten Ort der Juden, legt nahe, dass G’tt sowohl die Taten als auch die Motive der Makkabäer guthieß. Folglich feiern wir Chanukka hauptsächlich deshalb, weil die Makkabäer ein religiöses Ideal nicht für politische Zwecke missbrauchten und ihre behaupteten religiösen Ziele tatsächlich der Grund für den Krieg waren. Obgleich also der Sieg unstrittig ein großes Wunder war, ist er von geringerer Bedeutung als das Öl-Wunder.
Image Für uns Juden sollte die Integrität unseres inneren Selbst über allem anderen stehen. Das, was die moderne Gesellschaft hochschätzt, ist genau das Gegenteil. Sie schreit: Image, Image, Image! Es zählt nur, wie etwas von außen aussieht. Die Kultur, in der wir leben, redet uns pausenlos ein, nur des teuren Autos, des großen Hauses und des Luxusurlaubs wegen lohne es sich zu leben. Da ist es ganz egal, dass wir dafür unser spirituelles und inneres Selbst verkaufen.
Die Botschaft von Chanukka richtet sich genau gegen dieses Treiben. Wir dürfen unser inneres Ich, unsere Werte und Überzeugungen nicht verraten für materiellen Gewinn und dürfen unser Familienleben nicht auf dem Altar von Karriere und äußerlichem Erfolg opfern.