Von Naivität im Umgang mit Antisemitismus kann bei diesem Debakel nicht mehr die Rede sein. Getreu dem Motto »Schlimmer geht es immer« mussten wir in regelmäßigen Abständen erleben, wie dort, man muss es so sagen, antisemitische Urstände gefeiert wurden.
Man sollte doch denken, dass es normalerweise so abläuft: Es gibt einen antisemitischen Vorfall, es könnte aber auch Rassismus, Homophobie, Sexismus oder sonst etwas sein. Die Verantwortlichen versprechen, sie würden das Anliegen ernst nehmen und es prüfen. Experten werden herangezogen, die mit der Aufgabe betraut werden, der Sache auf den Grund zu gehen. Eine Untersuchung folgt, eine Stellungnahme wird abgegeben, auf deren Grundlage eine Entscheidung und konkrete Maßnahmen getroffen werden.
Hass Nicht so aber bei der diesjährigen documenta. Ein Expertengremium wurde einberufen, aus der Untersuchung resultierte eine klare Stellungnahme und was passierte dann? Die Experten wurden beschimpft. Die Künstler und Kuratoren antworteten auf den Vorwurf des Israel-Hasses mit noch mehr Israel-Hass.
Was Juden oft erleben, wird hier wieder einmal deutlich: Der Vorwurf des Antisemitismus wiegt schwerer, als der Antisemitismus selbst. Und was machen die Verantwortlichen? Nichts. Vom Geschäftsführer ganz zu schweigen. Die Gesellschafter schaffen es gerade einmal drei mickrige Zeilen zu fabrizieren.
Nächste Woche wird die documenta Geschichte sein. Die Verantwortlichen werden es geschafft haben, die Aneinanderreihung von Antisemitismus-Skandalen erfolgreich ausgesessen zu haben. Die Künstler und Kuratoren fühlen sich nachhaltig in ihrem Glauben bestärkt, Judenhass konsequenzlos ausleben lassen zu können und für die Juden bleibt die Erkenntnis, dass ihre Perspektive nicht nur nicht gehört, sondern sogar konsequent ignoriert wird.
Aber der 9. November steht ja vor der Tür. Alle Mann: Holt Eure »Nie-Wieder-Schilder« aus der Mottenkiste, es ist wieder Selfie Time!
Die Autorin ist Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD).