Über Alternativen zum zionistischen Projekt einer jüdischen Besiedlung Palästinas ist im Judentum diskutiert worden, seit Theodor Herzl sein Buch Der Judenstaat veröffentlichte. Eine starke Strömung in der frühen zionistischen Bewegung wollte eine jüdische Heimstätte in Uganda errichten. Stalins Sowjetunion gründete in Nordostsibirien das jüdische autonome Gebiet Birobidschan. Jetzt hat der niederländische Diplomat und Historiker Alexander Heldring ein weiteres, bisher kaum bekanntes jüdisches Siedlungsprojekt ent-deckt, das er auf der amerikanischen Website jewcy.com präsentiert: Surinam.
Initiator des Plans, in dem feuchtheißen Dschungelgebiet an der Nordostküste Südamerikas Juden anzusiedeln, war der Jurist Isaac Nathan Steinberg, ein russischer Emigrant, der in Lenins erster Regierung Justizminister gewesen war, bevor er sich mit den Bolschewiki überwarf. Im englischen Exil gründete er 1935 eine »Freeland League for Jewish Territorial Colonization«, um Juden aus Osteuropa im kaum bevölkerten Nordwesten Australiens anzusiedeln. Doch die Regierung in Canberra lehnte die Idee ab.
1945 legte Steinberg einen neuen Plan vor. Schoa-Überlebende sollten in Niederländisch-Guyana, dem heutigen Surinam, in eigenen Städten und Regionen angesiedelt werden. Verkehrssprache dort sollte Jiddisch sein. In Surinam, das schon seit dem 17. Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde hatte, stieß das Vorhaben durchaus auf Sympathie, vor allem bei den meist muslimischen Vertretern der indischen und javanischen Minderheit. Sie erhofften sich dadurch eine Stärkung gegenüber der afrikanischstämmigen Mehrheit. 1947 beschloss das Parlament von Surinam die Aufnahme von zunächst 30.000 Juden ins Land. Doch dazu kam es nie.
Das hatte zwei Gründe. Erstens hatte Steinberg übersehen, dass das letzte Wort in Surinamer Angelegenheiten immer noch die Kolonialmacht Niederlande hatte. Und die war von seiner Idee nicht sehr angetan. Sie fürchtete, eine massenhafte Einwanderung europäischstämmiger Juden könnte die fragile ethnische Balance in Surinam stören und Unruhen unter der schwarzen Bevölkerung auslösen.
Zweitens stieß der Surinamplan auf den Widerstand der Zionisten, für die Juden nach Palästina gehörten, nicht in den südamerikanischen Dschungel. Mit der Gründung des Staates Israel 1948 wurde Steinbergs Idee dann obsolet.
Isaac Steinberg starb 1957. Surinam wurde 1975 unabhängig. Nach letzter Statistik leben in dem Land heute rund 200 Juden. Michael Wuliger
www.jewcy.com/post/saramacca_project