»Er hat sich verdient gemacht«
Bundespräsident Horst Köhler über Paul Spiegels Vertrauen
»Von Paul Spiegel Abschied zu nehmen, fällt schwer. Er hat seinem, unserem Land etwas geschenkt, das alles andere als selbstverständlich und zugleich unendlich wertvoll war: Vertrauen. Dieses Vertrauen in unser Land hat sein Handeln geprägt. Als Paul Spiegel zum Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt wurde, sagte er: ›Unser Ziel ist eine allmähliche Normalisierung und eine größere Unbefangenheit.‹ Darauf hat er selber hingelebt. Er verkörperte eine Hoffnung. (...)
Nichts sollte aber darüber hinwegtäuschen, daß Paul Spiegel auch immer wieder Zweifel kamen. Das Fragezeichen hinter dem Titel seiner Biographie Wieder zu Hause? zeigt das deutlich. Seine Sorge war immer wieder: Sind die Anständigen in unserem Land wachsam genug? Persönliche Verleumdungen, Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Friedhöfen, die Bewachung der Synagogen aus Angst vor Anschlägen, alte und neue antisemitische Denkmuster – all das gibt es in unserem Land, und darüber können wir nicht hinwegsehen. (...)
Die Courage aller Bürger ist gefragt. Ich weiß, daß sich bereits viele in Initiativen engagieren: Sie helfen mit, Vorurteile aufzubrechen, Jugendliche auf das Thema aufmerksam zu machen, sie über seine Dimension aufzuklären. Immer wieder können Gewalttaten durch das mutige Eingreifen von Passanten oder Anwohnern ver-
hindert werden. Aber seien wir ehrlich: Es ist weitaus mehr Engagement nötig. Und wer sich einsetzt, der muß auch Rückendeckung bekommen, von Nachbarn, von Kollegen, von Medien und Politik. Wir müssen Extremisten und rassistischen Gewalttätern mit allen Mitteln des Rechtsstaats entgegentreten. Und zwar noch konsequenter als bisher und mit anhaltender Wachsamkeit. Lassen Sie uns das Vermächtnis von Paul Spiegel annehmen. Ich wünsche mir, daß immer mehr jüdische Bürger in unserem Land ihre Koffer gänzlich auspacken. Das Klima dafür zu schaffen, ist nicht die Aufgabe der jüdischen Gemeinden. Es ist nicht die Aufgabe des Zentralrats der Juden in Deutschland. Wir alle gemeinsam müssen dafür sorgen. Und jeder sollte das Seinige dafür tun. (...)
Paul Spiegel hat sich um unser Vaterland verdient gemacht. Wir verneigen uns vor ihm in Dankbarkeit.«