»Er gehört
zu uns«
Wie Israel an Scharons Schicksal Anteil nimmt
von Sabine Brandes
In Michal Siwans Haus ist der Fernseher eingeschaltet. Das ist er in der Mittagszeit sonst nie. Doch die 35jährige will wissen, wie es um den Ministerpräsidenten steht. Heute ist der Tag, an dem er aus dem künstlichen Koma aufgeweckt wird. »Es tut mir so leid für ihn«, sagt sie und wirkt bestürzt. »Wenn ich mir die Tortur der drei langen Hirnoperationen vorstelle, wird mir ganz schlecht.« Dabei hat sie nie etwas für Scharons Politik übrig gehabt. »Das ist jetzt Nebensache«, findet sie. Ein leichtes Aufatmen im Hause Siwan, als verkündet wird, daß Scharon wieder selbst atmet, nachdem die Betäubung reduziert worden ist.
Ariel ben Vera, so lautet Ariel Scharons hebräischer Name. In Internetforen und Rundmails aus der ganzen Welt wurde er in den vergangenen Tagen publik gemacht. Zusammen mit dem Aufruf, Gebete für seine baldige Genesung gen Himmel zu senden. Chefrabbiner Jona Metzger kontaktierte Gemeinden im In- und Ausland, um die Fürbitten zu koordinieren. Schmuel Rabinovitch, Rabbiner der Klagemauer in Jerusalem, berichtet von einem konstanten Andrang an der Freiluft-Synagoge, von zig Faxen und E-Mails mit guten Wünschen. Die Jewish Agency richtete spontan eine eigene E-Mail-Adresse (thoughtsandprayers@jewishagency.org.il) ein und rief zum gemeinsamen Beten für »Arik Scharon – unseren Premier und lieben Freund« auf.
Kaum ein längeres Gespräch, in dem nicht der Gesundheitszustand der politischen Legende angeschnitten wird. Ob sie ihn mögen oder nicht, alle Israelis nehmen Anteil. »Er hat mehr als einmal sein Leben für Israel riskiert«, sagt Mordechai Stein, der sich politisch zur Arbeitspartei zählt. Allein dafür müsse man ihm Respekt zollen. »Außerdem gehört er einfach zu uns.« Shachar Herzman empfindet ebenso. Sie hat Tränen in den Augen, als sie auf den kranken Scharon angesprochen wird. Die 50jährige Sekretärin betont den Druck, unter dem der Politiker gelebt haben muß: »Er wurde von allen Seiten angegriffen und beschimpft, sogar mit dem Tod bedroht.« Dabei sei er ein mutiger Mann geblieben. »Ich wünsche von ganzem Herzen, daß er gesund wird. Für ihn selbst und seine Familie, aber auch für unser Volk.« Manche harren tage- und nächtelang vor dem Hadassah-Krankenhaus aus, um in der Nähe ihrer politischen Leitfigur zu sein.
Doch es gibt auch solche, die nicht verzeihen. Wie der rechte Extremist Baruch Marzel aus der jüdischen Siedlung in Hebron. Er ließ verkünden, daß er und seine Gefolgsleute »nicht für diese bösartige Person beten werden«. Scharon habe sich gegen Gott und die Bibel gewandt und sein eigenes Land verraten. Im vergangenen Jahr hatte eine Gruppe jüdischer Extremisten die Zeremonie »Pulsa Denura« abgehalten, um damit Scharons Tod heraufzubeschwören.