von Frank Keil-Behrens
Man fühlt sich seltsam verlangsamt nach dem Rundgang durch die Ausstellung mit Videoarbeiten der israelischen Künstlerin Yael Bartana. Es ist, als würde man wie in Zeitlupe dahinschreiten, obwohl man ein ganz normales Fußgängertempo vorlegt, nun wieder unterwegs in Richtung Innenstadt und Hauptbahnhof. Derart körperlich wirken die Arbeiten von Yael Bartana, deren erste übergreifende Werkschau in Deutschland bis 3. September im Hamburger Kunstverein zu sehen ist.
Bewußt haben die Ausstellungsmacher an den Anfang der insgesamt acht Stationen keine der Arbeiten von Bartana gestellt, die sich dezidiert mit den schwierigen innerisraelischen Verhältnissen oder dem heillos verfahrenen Nahostkonflikt beschäftigen. Es geht stattdessen zunächst nach England, zu einem Pferderennen. Die Videoinstallation You could be Lucky läßt uns zusehen, wie Frauen in ausladenden Hüten verzögert an den Tribünen entlang stöckeln, in der Hand mit Sekt gefüllte Plastikbecher, die so gar nicht zu ihren maßgeschneiderten Kostümen passen. Männer füllen Wettzettel aus, lachen lautlos und streichen sich immer wieder durchs Gesicht. Manchmal laufen auch Pferde in Zeitlupe durchs Bild. Doch dann sehen wir, wie die mondäne Dame, die anfangs selbstsicher und leicht indigniert in die Kamera lächelt, die Fassung verliert, als die Pferde in die Zielgerade einlaufen; der wohlerzogene Bankangestellte mit Schlips und Manschettenknöpfen bahnt sich plötzlich grölend und schubsend seinen Weg zum Wettschalter. Der dünne Lack der Zivilisation blättert.
In dieser scheinbar beiläufigen Projektion ist bereits alles enthalten, was den Kern von Yael Bartanas Arbeiten ausmacht. Mit den videotechnischen Mitteln der Zeitlupe und der Wiederholung entschleunigt sie die scheinbar banalen Bilder und de-konstruiert Rituale. »Staatlich organisierte Gedenkveranstaltungen, Zeremonien und militärische Feiern definieren die Tradition und prägen die nationale Identität. Sie sind wirkungsvolle und deshalb gefährliche Phänomene, die Muster der Loyalität und der Unwissenheit erhalten. Mich interessiert die Dynamik des Staates, der eine bestimmte Anschauung diktiert, und des Individuums, das sich zu ihr bekennt.«
Wie ritualisierte gesellschaftliche und individuelle Grenzen sich unter Druck auflösen, zeigt die zwischen Tel Aviv und Amsterdam pendelnde Künstlerin auch in ihrer Arbeit Wild Seeds. Bartanas 18jährige Nichte und deren Freunde spielen die Räumung einer jüdischen Siedlung in Gasa nach. Während sich die »Siedler« mittels Händen, Armen und Beinen zu einem Knäuel verknoten, fest entschlossen, nicht zu weichen, versuchen die »Soldaten«, einzelne aus der Gruppe herauszulösen und wegzuschleppen. Daß dies nicht eine abstrakte Versuchsanordnung bleibt, sondern die Stimmung, die auf der Leinwand von Belustigung über anwachsenden Ernst bis zu kaum verhohlener Wut sich steigert, auch auf die Betrachter überspringt, liegt an der Art der Präsentation: Der Ausstellungsbesucher nimmt auf Kissen am Boden Platz und ist damit auf gleicher Höhe wie die Akteure. Er ist mittendrin, wenn es erst heißt »Das machen wir nachher nochmal alles nackt«, anschließend »Wenn du mein T-Shirt zerreißt, bring ich dich um« bis zu »Kein Jude deportiert einen anderen Juden«. Ironisch intendierte Schlagworte und Zitate? Oder doch Kernsätze, auf die man am Ende zurückfällt?
Zu sehen ist in Hamburg auch Bartanas bekanntestes Video, Trembling Time. Die Künstlerin hat in Tel Aviv von einer Autobahnbrücke aus die Schweigeminute am Gedenktag für die Gefallenen der israelischen Kriege abgefilmt und das Material danach bearbeitet. Erst scheint alles normal: Autos fahren im gewohnten Verkehrsfluß unter der Brücke durch, bis die ersten langsamer werden, stoppen, und schließlich alle halten müssen. Wie Geister steigen einzelne Menschen aus ihren Fahrzeugen, verharren auf der Straße, steigen wieder ein. Dann fahren die Autos wieder an, der Verkehr rollt weiter, als sei nichts gewesen. Sechseinhalb Minuten ist das Video lang. Sitzt man davor und läßt dieses gänzlich unkommentierte Ritual auf sich wirken, kommt es einem vor wie Stunden.
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