Gegenrede

(Ent)scheide dich!

von Yoel Shiloh

Isaak und Rebekka waren bereits 20 Jahre verheiratet, als ihre Söhne Jakob und Esau zur Welt kamen. Isaak war 40 Jahre alt, als er heiratete (1. Buch Moses, 25, 20), und als seine Söhne geboren wurden, war er 60. Die Schrift führt als Grund für diese lange Wartezeit Rebekkas Unfruchtbarkeit an. Das Problem der kinderlosen Ehe wird in der Mischna und im Talmud erörtert.Die Mischna Jewamot sagt, wenn ein Ehepaar viele Jahre lang kinderlos bleibt, muß der Ehemann eine andere Frau nehmen, um das Gebot der Fruchtbarkeit zu erfüllen. »Wenn ein Mann eine Frau genommen hat und zehn Jahre mit ihr zusammen war, und sie hat ihm kein Kind geboren, darf er sich vom Gebot der Fruchtbarkeit nicht enthalten. Wenn er sich von ihr scheiden läßt, kann sie mit einem anderen Mann verheiratet werden, und dieser Mann kann zehn Jahre lang mit ihr leben. Hat sie eine Fehlgeburt, so zählt sie die Frist von zehn Jahren ab dem Zeitpunkt dieser Fehlgeburt.«
Die Mischna sagt nicht, was mit der neuen Ehe zu geschehen hat, wenn diese unfruchtbar blibt. Muß der Mann sich erneut von der Frau scheiden lassen, oder muß er eine weitere Frau zusätzlich nehmen? Der Talmud (Jewamot 64a) legt indes eine B’raita vor, die besagt, daß das Paar seine Ehe auflösen muß: »Wenn ein Mann eine Frau genommen hat und zehn Jahre mit ihr zusammen war, und sie hat ihm kein Kind geboren – dann muß er sich von ihr scheiden lassen und ihr den Betrag ihrer Ketubbah auszahlen, da er um ihretwillen keine Söhne hat.« Diese Regelung findet sich auch im jüdischen Gesetz. Der Talmud vertritt sogar die Auffassung, daß das Paar zur Auflösung der Ehe gezwungen werden muß, auch wenn die Eheleute ohne Kinder zusammenbleiben wollen.
Darüber hinaus legt die Halacha fest, daß selbst in dem Fall, daß der Mann der unfruchtbare Ehepartner ist, die Frau um die Scheidung ersuchen kann, obgleich sie selbst nicht dem Gebot der Fruchtbarkeit unterliegt. Diese Regelung anerkennt ihr natürliches Anrecht auf Kinder. Die Frage dreht sich um ein Dilemma zwischen dem Fruchtbarkeitsgebot und dem Wert friedvoller ehelicher Beziehungen. Eine Scheidung in jeder Hinsicht gilt als schwierig. Die Weisen sagen dazu (Sanhedrin 22a): »Wer sich von seiner ersten Frau scheiden läßt, über den weint sogar der Altar.«
Man kann sich fragen, weshalb Isaak und Rebekka diese halachische Vorschrift nicht beachtet haben. Dafür bieten die Weisen in den Schriften mehrere Erklärungen an. Einige Rabbiner sind der Meinung, auch Isaak sei unfruchtbar gewesen, so daß es für ihn keinen Sinn gehabt hätte, eine andere Frau zu heiraten. Andere sagen, Rebekka sei erst drei Jahre alt gewesen, als sie verheiratet wurde, weshalb die ersten zehn Jahre der Ehe nicht zählten. Die relevanten Jahre konnten erst ab dem Zeitpunkt gezählt werden, da Rebekka überhaupt im gebärfähigen Alter war.
Unfruchtbarkeit ist keine Seltenheit. Es hat im Verlauf der jüdischen Geschichte gewiß sehr viele Ehepaare gegeben, die das Unglück hatten, kinderlos zu bleiben. Viele dieser Fälle kamen zur Erörterung vor die Rabbiner, die um eine Entscheidung gebeten wurden. Allgemein lag dem Streitfall eine andere Frage zugrunde. Der Mann hatte mit der betreffenden Frau »zehn Jahre zusammengelebt, und sie hat ihm kein Kind geboren«. Das war im allgemeinen nur der Anlaß für ihre Uneinigkeit.
Raschbaz wurde ein Streitfall vorgelegt, an dem ein Ehemann beteiligt war, der zusätzlich zu seiner ersten, kinderlos gebliebenen Frau eine weitere Frau nehmen wollte. Die Ehefrau verlangte, daß ihm die Ehe mit einer weiteren Frau untersagt werden sollte. Sie argumentierte, bei ihrer eigenen Eheschließung habe ihr Mann sich verpflichtet, ohne ihre Zustimmung keine weitere Frau zu nehmen. Raschbaz entschied, daß der Mann sich von seiner Frau scheiden lassen muß und daß er damit nicht gegen die Bedingungen der ersten Ehe verstoße. Rabbiner Nehemiah ben Jacob von Lunel wurde die gegenteilige Frage vorgelegt: Die Ehefrau verlangte eine Scheidung, weil sie einen anderen Mann heiraten wollte, um Kinder zu bekommen. Ihr Ehemann argumentierte dagegen, sie sei unaufrichtig und wolle die Scheidung nur, weil sie sich in einen anderen Mann verliebt habe. Der Rabbiner akzeptierte die Auffassung der Frau und entschied zu ihren Gunsten.
Es gab auch Fälle, in denen das Ehepaar kein Interesse an einer Scheidung hatte, obwohl es kinderlos war, in denen aber die Gemeinde oder das rabbinische Gericht erwog, sie zur Scheidung zu zwingen. Ein solcher Fall wurde Maimonides vorgelegt, der sich entschieden gegen die Zwangsauf- lösung der Ehe aussprach: »Die gefallene Entscheidung, die ihr angeführt habt, enthält einen Irrtum, nämlich die Auffassung, der Mann solle sich von einer Frau scheiden lassen, die ihm keine Kinder schenkt. Ein Mann kann eine zweite Frau heiraten – von der er keinen Grund zu der Annahme hat, sie sei unfruchtbar. Er kann mit beiden Frauen verheiratet sein und darf unter keinen Umständen gezwungen werden, sich von seiner ersten Frau scheiden zu lassen.«
Wir sehen, daß die rabbinischen Gerichte nicht den Buchstaben des Gesetzes durchsetzten, sondern die Ehe auch bestehen ließen, wenn die Eheleute dies wünschten – auch wenn das Gesetz ihre Scheidung verlangt. Die Gerichte setzten das Gesetz gegen ein Ehepaar nur durch, wenn die Fruchtbarkeitsfrage zu einem zusätzlichen Grund für die Scheidung geworden war.
Bis zum heutigen Tag gibt es Fälle, in denen Unfruchtbarkeit als Grund für Scheidung angeführt wird. 1956 kam ein Scheidungsfall vor das rabbinische Gericht in Rehovot. Dabei strebte der Ehemann die Scheidung von seiner Frau wegen deren Unfruchtbarkeit an. Das Ge- richt entschied, daß der Frau eine weitere Frist von einem Jahr einzuräumen sei. Danach sollte die Frau sich einer medizinischen Untersuchung unterziehen, und im Fall erwiesener Unfruchtbarkeit sollte die Scheidung eingeleitet werden.
Hier und da stellte sich eine solche Frage sogar in Fällen, in denen nachgewiesenermaßen kein medizinisches Problem einer Schwangerschaft im Weg stand. Rabbiner Waldenberg beschreibt einen Fall, in dem ein Ehepaar zehn Jahre lang kinderlos geblieben war, obgleich kein medizinisches Hindernis gefunden wurde. Die Frau wehrte sich gegen das Scheidungsbestreben des Mannes und bat darum, daß sie ihr gemeinsames Leben noch eine kurze Zeit fortführen könnten. Das Gericht entschied zu ihren Gunsten und lehnte den Scheidungsantrag des Mannes ab.
Alles in allem können wir sagen, daß ein Ehepaar nach zehn Jahren kinderloser Ehe dem Gesetz nach geschieden werden muß. In der Praxis haben die Rabbiner diese halachische Vorschrift jedoch nicht durchgesetzt, sondern der Wahrung der Familieneinheit, dem Frieden und der Harmonie das größere Gewicht beigemessen.

Toldot: 1. Buch Moses 25,19 bis 28,9

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fakultät für Jüdische Studien, www.biu.ac.il

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