von Peter Bollag
Kaum ein Mensch steht derart stark für das jüdische Leid in der Zeit des Naziwahns wie Anne Frank. Bis heute sensibilisiert ihr Tagebuch vor allem junge Menschen für den Holocaust. Am 12. Juni wäre Anne Frank 80 Jahre alt geworden.
Fünf Tage vorher soll bei einer Feier im schweizerischen Birsfelden ein bisher namenloser Platz nach Anne Frank benannt werden. Der Vater der brühmten Tagebuchautorin, Otto Frank, lebte mit seiner zweiten Frau Elfriede Markovits, die er im KZ kennengelernt hatte, von 1953 bis zu seinem Tod 1980 in der kleinen Gemeinde vor den Toren Basels. Geheiratet hatte das Paar 1953 in Amsterdam und war unmittelbar danach in die Schweiz übergesiedelt.
Der Cousin und letzte lebende direkte Verwandte von Anne Frank, der Schauspieler Buddy Elias (83), wohnt bis heute in Basel. Er verwaltet den sogenannten Anne-Frank-Fonds (www.annefrank.ch) und war nach Otto Franks Tod eine der treibenden Kräfte bei der Idee, eine ständige Erinnerung an Anne Frank zu schaffen. »Nachdem ich in Basel vor einigen Jahren eine Absage erhalten hatte, versuchte ich es in Birsfelden«, sagt er. Dort sei er bei den Behörden, allen voran beim damaligen Gemeindepräsidenten auf offene Ohren gestoßen. Bislang erinnert nur eine kleine Tafel an den früheren Einwohner Otto Frank.
Elias’ jahrelange Bemühungen um ein aktives Erinnern an die Familie Frank finden in der kommenden Woche nun ein positives Ende. Gibt es in Deutschland zahlreiche Anne-Frank-Straßen, ist es für die Schweiz eine Premiere. Dass es überhaupt so weit kam, ist nicht selbstverständlich. Denn noch immer herrscht in breiten Kreisen in der Alpenrepublik die Auffassung, es sei allenfalls am Rande eine Schweizer Aufgabe, die jüngere europäische Geschichte aufzuarbeiten. »Trotz aller Diskussionen um die Rolle des Landes im Zweiten Weltkrieg gibt es hier eine aufgesplitterte Wahrnehmung jener Ereignisse nach dem Motto ›Das gehört zu uns und das eben nicht‹«, meint Erik Petry, Historiker an der Uni Basel und Dozent am Institut für Jüdische Studien. Gerade die Benennung von Plätzen und Straßen nach Opfern der Schoa sei eigentlich eine »symbolische Übernahme von Verantwortung«, einer Mitverantwortung, die man in der Schweiz ungern übernehme, »allen Ergebnissen der Schweizer Historikerkommission zum Trotz«.
Mit (Um-)Benennungen von Straßen und Plätzen, die auf tragischen historischen Ereignissen basieren, tut sich das kleine Land schwer. In den 90er-Jahren etwa verlangten die Zürcher Grünen, die Rudolf-Brun-Brücke in Rabbi-Mosche-ben-Menachem umzubenennen. Der Zürcher Bürgermeister Rudolf Brun habe beim Massaker an den Juden der Stadt im Jahre 1349 im Zusammenhang mit der Pest aktiv mitgeholfen und sich außerdem auch bereichert – unter anderem an dem damals ermordeten Rabbi Mosche. Das Zürcher Politestablisment war über diesen – absolut aussichtslosen – Vorstoß und dem Kratzen am Image eines ihrer Stadtväter nicht erfreut. Da ist es einfacher, sich bei neuen Straßennamen mit klingenden Namen zu schmücken, selbst wenn ihre Träger seinerzeit in der Schweiz nicht wirklich willkommen waren. Man denke an Erika Mann, deren Kabarett »Die Pfeffermühle« nach 1933 in Zürich nicht nur auf Begeisterung stieß.
Dass das Beispiel Birsfelden Schule machen wird, glaubt Petry nicht. Er sieht als Ursache eine Art Rückzug ins eigene Kämmerlein der offiziellen Schweiz bei der Analyse der jüngsten Geschichte, aber auch die aktuelle Weltlage. »Da werden oft gerne Dinge zusammengebracht, die nur wenig miteinander zu tun haben.« Petry vermutet, dass andere Schweizer Gemeinden eine Anne-Frank-Straße mit Verweis auf den Nahostkonflikt ablehnen werden.