›von Michael Holmes
Morton Rhues Jugendroman Die Welle gehört zu den Klassikern der deutschen Schullektüre. Der gleichnamige Film, der jetzt in den Kinos läuft, basiert nicht auf dem Buch, aber auf derselben wahren Begebenheit: 1967 machte der Geschichtslehrer Ron Jones an einer kalifornischen High School einen kleinen Unterrichtsversuch. Ein Schüler hatte ihn beim Thema Nazideutschland gefragt, warum die Deutschen alles ohne Widerstand mitgemacht hatten. Jones hielt daraufhin seine Schüler zu unbedingter Loyalität gegenüber dem Klassenverband an, verordnete Uniformen und taufte die verschworene Gemeinschaft auf den Namen »The Third Wave« – Die dritte Welle. Ihre Kampfparolen lauteten »Macht durch Disziplin!«, »Macht durch Gemeinschaft!«, »Macht durch Taten!«. Schnell griff die Bewegung auf die ganze Schule über und geriet schon nach wenigen Tagen außer Kontrolle: Schüler wurden bespitzelt, beschimpft und tätlich angegriffen. Erschrocken brach der Lehrer seinen Versuch ab, mit den Worten: »Ihr seid nicht besser oder schlechter als die Nazideutschen.« Binnen Sekunden war der Spuk vorbei.
Der Film verlegt die Geschichte an ein deutsches Gymnasium von heute. Die Kids sprechen die aktuelle Jugendsprache (was jedoch etwas angestrengt und wenig authentisch wirkt). Jürgen Vogel ist der Lehrer, der seiner Klasse klarmachen möchte, wie leicht eine Diktatur entstehen kann. Dabei greift Regisseur Dennis Gansel allerdings allzu tief in die Trickkiste. Als sei das wahre Drama nicht blutig genug gewesen, wird aus real geschehenen Prügeleien eine lebensgefährliche Schießerei; die psychische Krise des Klassenlosers endet im Selbstmord.
Völlig schief geht der Bezug zur deutschen Vergangenheit. Schon die Wahl der Begriffe zeugt von wenig Kenntnis der Geschichte. Der Nationalsozialismus heißt »Faschismus« und wird unter dem nichtssagenden Begriff der »Autokratie« subsumiert. Dabei lässt das Experiment weniger an das NS- als an das SED-Regime denken, ist es doch die Reinheit der Gesinnung, nicht die der Rasse, die über Zugehörigkeit oder Ausschluss aus der »Welle« entscheidet. Vollends absurd wird es, wenn die Globalisierung zu den zentralen Ursachen des »Faschismus« gerechnet und der Anarchismus zu dessen konsequentestem Gegenspieler stilisiert wird.
Immerhin: Wenn dieser Film jungen Deutschen die mit jeder Form des Gruppenkonformismus verbundenen Gefahren vor Augen führen kann, wäre das ein kleiner Erfolg. Die Anziehungskraft von religiösen oder politischen Sekten kennen viele Jugendliche aus ihrem eigenen Alltag. Die im Film zu sehr in den Vordergrund gerückte Frage aber, ob eine totalitäre oder gar nationalsozialistische Machtergreifung überall und jederzeit wieder möglich wäre, bleibt für die jungen Zuschauer unbeantwortet.