von Wladimir Struminski
Kann Israel auf Erdölimporte verzichten? Geht es nach der israelischen Firma ASFK Hom Tov, lautet die Antwort: Im Prinzip ja. Der Staat könnte seinen gesamten Ölbedarf lange Jahre aus einheimischer Produktion decken. Zwar nicht aus eigenen Ölfeldern – die besitzt das Land nicht oder hat sie zumindest bisher nicht gefunden – wohl aber aus Ölschiefer. Das in Israel weitverbreitete Sedimentgestein enthält das Mineralöl Kerogen, das durch Erhitzen von Schiefer freigesetzt wird und Erdöl weitgehend ersetzen kann.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Bereits in der Schlußphase des Zweiten Weltkriegs versuchte das von der Rohstoffzufuhr abgeschnittene Deutschland, Mineralöl aus Ölschiefervorkommen in der Schwäbischen Alb zu gewinnen. Der Versuch blieb im Ansatz stecken, weil das Herstellungsverfahren ineffizient und das Öl von minderer Qualität war. Der Schieferabbau wurde von KZ-Häftlingen geleistet: ein unrühmliches Stück Geschichte der Energiewirtschaft.
Versuche, Ölschiefer zu verwerten, gab es aber auch in den folgenden Jahrzehnten. Zu Ländern, in denen mit dem versteinerten Energieträger geliebäugelt wurde, gehören die USA ebenso wie Jordanien und Australien. Auch in dem um stabile Energieversorgung bangenden Israel wurde mit Ölschiefern experimentiert. In Israel lagern etwa 15 Milliarden Tonnen Ölschiefer, hauptsächlich im Negev. Dort entstand eine Pilotanlage, die die technische Nutzbarkeit von Schiefer schlüssig nachwies. Den großen kommerziellen Durchbruch brachte das nicht, zumal die israelischen Schiefervorkommen relativ wenig Kerogen enthalten. Bei den bisher bekannten Verfahren ließen sich 60 bis 70 Liter Mineralöl je Tonne Ausgangsmaterial gewinnen.
Das soll sich jetzt grundlegend ändern. Dank einer neuartigen, von ASFK Hom Tov vorgeschlagenen Methode lassen sich, sagt Projektkoordinator Shlomo Abramovich, weitaus bessere Ergebnisse erreichen. Über genaue Zahlen machte Abramovich im Gespräch mit dieser Zeitung keine genauen Angaben, erklärte aber, der Nutzungskoeffizient liege beim Fünffachen der bisherigen Ergiebigkeit. Damit nimmt auch die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens erheblich zu. Kernstück des neuen Verfahrens ist der Rückgriff auf Erdöl-Raffinerierückstände, die den Ölschiefern beim Erhitzen im Verhältnis eins zu drei beigemischt werden. Die Verwendung von Raffinerierückständen hat auch einen ökologischen Vorteil: Die Substanzen sind Gift für die Umwelt.
Im nächsten Stadium möchte die israelische Firma im Negev eine Großanlage zur kommerziellen Verwertung von sechs Millionen Tonnen Ölschiefer pro Jahr errichten. Die Grundsatzgenehmigung des für Energiepolitik zuständigen Infrastrukturministeriums liegt bereis vor. Jetzt wird nach dem besten Standort gesucht. Der für die Anlage veranschlagte Kapitalaufwand wird auf 700 Millionen Dollar geschätzt. Damit handelt es sich um eines der größten Infrastrukturvorhaben der israelischen Geschichte. Zum Vergleich: Der vor anderthalb Jahren in Betrieb genommene neue Terminal des Ben-Gurion-Flughafens hatte 800 Millionen Dollar gekostet. Falls keine bürokratischen Hindernisse auftauchen, könnte die Anlage im nächsten Jahr anlaufen. Allerdings ist das nur der Anfang. Wird eine ausreichende Anzahl von Verwertungswerken gebaut, könnte Israel zum Selbstversorger werden: Eine Entlastung für die Zahlungs- wie für die Energiebilanz.
Die Pläne der israelischen Erfinder gehen über die Landesgrenzen hinaus. Die Firma bietet hre Technologie auch für weltweiten Einsatz feil und schätzt, daß etwa zwanzig Länder der Erde Interesse daran haben könnten. Zu Ländern mit erheblichen Ölschiefervorkommen gehören unter anderem Brasilien, Rußland und China. Der vielleicht wichtigste Standort sind aber die USA, in denen rund 70 Prozent der weltweiten Ressourcen lagern.
Aber nicht alle Standorte sind gleichermaßen nutzbar. Niemand wird wohl dichtbesiedelte Gebiete in riesige Tagebaue verwandeln. Auf der anderen Seite ist das internationale Klima für die Verwertung von Ölschiefer heute günstig. Die hohen Erdölpreise und die politischen Unwägbarkeiten in wichtigen Förderregionen verleihen den Bestrebungen westlicher Regierungen, die einheimische Energiebasis auszubauen, neue Dringlichkeit.