Gasastreifen

Endstation Zukunft

von Ulrich W. Sahm

Trotz des am vergangenen Donnerstag in Kraft getretenen Waffenstillstands sind die Anwohner des Grenzgebietes zum Gasasteifen wenig optimistisch. Erleichterung über die hoffentlich länger andauernde Ruhe vor dem dauernden Rake-
tenbeschuss ist zu verspüren. Aber sie vermischt sich mit einem gewissen Fatalismus, denn schon zu viele Vereinbarungen mit den Extremisten auf der anderen Seite des Zauns haben nichts gebracht. »Wir haben keine Hoffnung auf eine Zukunft. Die jungen Familien ziehen weg«, sagt der 76 Jahre alte Jankale Cohen am Stacheldrahtverhau rund um seinen 1953 gegründeten Kibbuz Nachal Oz.
»Diese Bäume haben wir damals als Sichtblende gegen ägyptische Scharfschützen gepflanzt«, sagt er, während hinter ihm, jenseits des Zauns, mit Weizen beladene Sattelschlepper zum Warenterminal Karni rumpeln. Nach Angriffen der Hamas mit Mörsergranaten hat Israel den größten Warenumschlagplatz zum Gasastreifen geschlossen. Nur Weizen floss über Förderbänder, weil Israel keine hu-
manitäre Krise unter den 1,4 Millionen eingeschlossenen Palästinensern provozieren wollte. Seit Montag ist der Übergang für den Warenverkehr wieder geöffnet.
Die Häuser von Sajaijeh, der nächsten Stadt im palästinensischen Gasastreifen, sind zum Greifen – aber auch zum Schießen – nahe. »Als Kinder haben wir in diesem Bunker übernachtet«, sagt der rüstige alte Mann. Er weist auf einen Erdhaufen zwischen Stacheldraht und Maschendrahtzaun, aus dem ein verrostetes Belüftungsrohr lugt. In Nahal Oz erlebte er schon viele Kriege, mit Ägyptern und dann mit Palästinensern.
Etwas weiter nördlich steht in Sichtweite der Nahal Oz Terminal. Tanklastwagen bringen hier Kochgas, Öl, Benzin und Diesel zu Rohranschlüssen. Die Treibstoffe werden unter den hohen Schutzmauern aus grauem Beton auf die »andere Seite« gepumpt, ohne dass sich Israelis und Palästinenser begegnen. Vor drei Wochen gelang es einem Kommando der Hamas, die Grenzwälle zu überwinden und in den Terminal einzudringen. Zwei zivile Arbeiter, Einwanderer aus Russland, wurden getötet, ehe Soldaten vorrückten und die Angreifer erschossen. Sie verhinderten eine größere Katastrophe zwischen den Benzintankern.
Jankale zeigt auf Felder, die bis zum elektronischen Zaun reichen, der Grenze zwischen Israel und dem palästinensischen Gebiet. »Die Armee hat uns verboten, die Felder zu bestellen und die Kartoffeln mit Flugzeugen gegen Ungeziefer zu spritzen«, sagt das Gründungsmitglied von Nahal Oz. Jankale verrät, dass er bald das erste Kartoffelmuseum Israels eröffnen wolle. Stolz erzählt der Kartoffelbauer auch von den Kühen. In Nahal Oz produzieren sie bis zu 14.000 Liter Milch pro Jahr. »Die Rindviecher regieren wie Menschen auf Raketeneinschläge. Sie sind nervös und verängstigt, liefern ein paar Tage lang weniger Milch und dann normalisieren sie sich wieder.«
Unser Bus hatte neben Kälbern angehalten. Der arabische Busfahrer hupt kurz vor dem Anfahren. Die Kälber zucken erschreckt und hüpfen in ihrem Gehege unter das Schattendach. »Die junge Generation hat es satt, ihre Kinder in ständiger Gefahr aufzuziehen. Sie gehen nach Tel Aviv oder ins Ausland. Ja, die Hamas hat Erfolg, weil Israel seine Abschreckungskraft verloren hat«, sagt der 76-Jährige. Er war einst als Pionier gekommen, im grenznahen Kibbuz den Feinden Israels die Stirn zu bieten. Falls der Zermürbungskrieg weitergehe, werde Israel den Negev verlieren, weil das Leben unerträglich geworden sei.
Die Fahrt führt nach Sderot, der Kleinstadt, die bis Donnerstag unter fast täglichem Raketenbeschuss stand, und zum Sapir-College. Vor einigen Monaten wurde auf dem Parkplatz ein Student durch einen Direkttreffer getötet. Die 46-jährige Sozialarbeiterin Chen besteigt den Bus. Sie wohnt in Sderot und arbeitet im Sapir-College. »Wir haben drei Kopfkissen im Bett. Auf die Dauer belastet es die Beziehungen mit meinem Mann, wenn unser achtjähriger Sohn Or bei uns schläft. Die Heimatfront des Militärs hat erklärt, dass ein nach Westen gerichtetes Schlafzimmer eine Gefahrenzone sei.« Sie erzählt von Schlafstörungen, Ängsten bei den Kindern und Nervenzusammenbrüchen. »Das nennt man post-traumatische Störungen. Bei uns ist es traumatisch, weil es seit sieben Jahren ein Dauerzustand ist.«
Die Waffenruhe stimmt sie zuversicht-
lich und misstrauisch zugleich. »Unser Sohn wächst mit Hass auf, während ich noch den Geschmack des Hummus auf der Zunge habe. Ich sehne mich danach, wieder bei unseren Nachbarn jenseits des Zauns einkehren zu können.« Ihrem Sohn erklärt sie, dass es ihm vergleichsweise viel besser gehe als den Kindern drüben. »Die kriegen nicht einmal ein frisches Joghurt zum Frühstück.«
Auch Jankale, der Veteran von Nahal Oz, erzählt wehmütig von vergangenen Zeiten. »Wir waren Freunde. Ich ging dort zum Zahnarzt. Mit dem Ausbruch des Aufstandes brachen die Kontakte ab. Nach zwei Jahren telefonierten wir nicht mehr. Unsere palästinensischen Freunde litten sehr unter dem Zustand. Heute wissen wir nicht mehr, wie es ihnen geht.«

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