Für Christoph Markschies ist die Sache klar: Durch Größe und Aufmachung der Tafeln müsse, selbst bei größter Bildungsnot, jedem bewusst gewesen sein, dass die Ausstellung sich mit Verbrechen der Nazis befasste, sagte der Präsident der Humboldt-Universität anlässlich der Wiedereröffnung der Schau am Montagabend. Damit machte Markschies noch einmal seine Position deutlich, dass das, was sich am Mittwoch vergangener Woche ereignet hatte, nicht spontane Jugendgewalt, sondern ein antisemitischer Akt war. Randalierer hatten bei einer Schülerdemonstration die Ausstellung »Verraten und verkauft. Jüdische Unternehmen in Berlin 1933-1945« im Foyer der Universität zerstört.
Zunächst hatten die Schüler friedlich für eine bessere Bildungspolitik demonstriert. Nach einer Kundgebung drangen dann rund 1.000 Demonstranten ins Hauptgebäude ein. Sie richteten erhebliche Schäden an. Die Humboldt-Universität und die Jüdische Gemeinde äußerten sich empört über den Vorfall, und forderten Aufklärung der näheren Umstände. Der Zentralrat der Ju-
den rief zur Zurückhaltung auf. »Mit dem antisemitischen Motiv sollte man sehr vorsichtig sein«, sagte Generalsekretär Stephan Kramer am Freitag. Zwar sei der Gewaltausbruch grundsätzlich zu verurteilen, es dürften jedoch keine voreiligen Schlüsse daraus gezogen werden.
Sandra Sperber, eine Journalistin von Spiegel-TV, die mit ihrem Team das Ge-
schehen verfolgt hatte, schilderte das Geschehen später als »spontane Gewalt«, die sich nicht gezielt gegen die Ausstellung gerichtet habe. Alles habe eine »wilde Dynamik« gehabt. Lee Hielscher, Sprecher der Landesschülervertretung, sagte, man verurteile die Aktion, die allerdings keinesfalls antisemitsch gewesen sei. Die Initiative »Bildungsblockaden einreißen« schrieb in einem offenen Brief: Bei allem Verständnis für die Empörung der gegen den Bildungsnotstand Protestierenden ge-
be es auf keinen Fall eine Entschuldigung für die Vorkommnisse.
Nach Polizeiangaben prüft der Staatsschutz derzeit, ob für die Ausschreitungen ein antisemitisches Motiv vorliegt. Ermittelt werde auch wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs.
Am Montag waren zumindest die Ta-
feln repariert und die Ausstellung wiedereröffnet. Die Schau bleibt bis zum 12. De-
zember geöffnet und lädt Schülerinnen und Schüler zur Besichtigung ein. Noch vor der Wiedereröffnung fand eine Podiumsdiskussion über die Vorkommnisse statt. Neben dem Präsidenten der HU wa-
ren der Beauftragte der Jüdischen Ge-
meinde Berlin für die Bekämpfung des Antisemitismus, Levi Salomon, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) und die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters (CDU) anwesend.
Alle Podiumsteilnehmer waren sich über den antisemitischen Charakter des Vorfalls einig: Die Ausstellung sei nicht einfach im Vorbeigehen beschädigt, sondern »planmäßig« zerstört worden, erklärte Markschies. Außerdem soll »Scheiß Israel« gerufen worden sein. Wenn dies tat- sächlich geschehen sei, so Levi Salomon, sei der Tatbestand des Antisemitismus eindeutig: Die Ausstellung habe nun mal mit Israel nichts zu tun und Antisemitismus komme häufig im Gewand der Kritik an Israel daher.
Man müsse sich auch fragen, darüber waren sich alle ebenfalls einig, wie es möglich sei, dass nicht nur einige diese Ausstellung zerstörten, sondern dass zahlreiche Demonstranten es geschehen ließen. Monika Grütters zeigte sich erschüttert darüber, dass »keine instinktive Hemmschwelle« an-
gesichts der Exponate vorhanden gewesen sei. Die vorgebrachten »Entschuldigungsstrategien«, die mit der blinden Wut der Schüler argumentieren, könne man nicht akzeptieren, so Markschies. Levi Salomon berichtete, es hätten sich erfreulicherweise Schulen mit tatsächlicher Betroffenheit und ehrlichem Bedauern bei der Jüdischen Gemeinde gemeldet. »Diese Entschuldigungen kann ich annehmen«, sagte er, »weil ich merke, dass sie von Herzen kommen«. Sophie Neuberg (mit dpa und ddk)
Humboldt-Universität