von Peter Bollag
Die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) haben eines gemeinsam. Sie stammen beide aus Genf. Für die streitbare Politikerin der Sozialdemokraten hat es vermutlich keine geringe Bedeutung. Calmy-Rey fühlt sich dem IKRK, welches traditionsgemäß immer von einem Schweizer geleitet wird, besonders verpflichtet. Dieser Tage beruft sie sich auf dessen Werte und Maßstäbe, wenn sie Stellung zum Konflikt um den Libanon nehmen muß.
Israel kommt bei ihren Stellungnahmen offensichtlich schlechter weg als die Hisbollah oder andere Konfliktparteien. Das erzürnt nicht nur den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) und dessen Präsident Alfred Donath, der Calmy-Rey in mehreren Stellungnahmen deutlich kritisierte, sondern auch den israelischen Botschafter in der Schweiz, Aviv Shir-On: Er warf Calmy-Rey in ungewohnt undiplomatischen Worten Einseitigkeit vor.
Auf Distanz gegangen zu ihrer Außenministerin sind mittlerweile auch ihre Regierungskollegen, zumindest die der Rechtsparteien. Die hatten sich nach anfängli- chem Schweigen Ende Juli zu einer Sondersitzung getroffen, um über die Libanon-Krise zu beraten. Und vermutlich auch die Außenministerin zu rüffeln, die sich vorher regelmäßig zu Wort gemeldet und ein Ende der Gewalt in Nahost gefordert hatte. Entsprechend hatte deren Antrag, die ausgedehnte Zusammenarbeit im Rüstungsbereich zwischen der Schweizer und der israelischen Armee zumindest zu suspendie- ren, keine Chance.
Daß die Schweizer Regierung auch ausdrücklich auf eine Stellungnahme zum Libanon-Krieg verzichtete, wurde dabei in den Medien ausdrücklich als Niederlage der streitbaren Sozialdemokratin gewertet. Was sie allerdings nicht hinderte, an einer Feier zum Schweizer Nationalfeiertag am 1. August in Zürich ihre Kritik noch zu verstärken: »Wer schweigt oder sich nicht gegen den Terror erhebt, ist nicht neutral«, meinte sie fast trotzig. Und provozierte damit offenbar erst recht einen Streit innerhalb der Regierung in Bern: Vor allem Vertreter der Blocher-Partei Schweizerische Volkspartei (SVP) kritisierten Calmy-Rey nun in aller Schärfe.
Mittlerweile scheint der Streit über die richtige Haltung zum Krieg sogar in ihrer eigenen Partei, der SP, ausgebrochen zu sein: Vreni Müller-Hemmi, SP-Abgeordnete in Bern und Präsidentin der Gesellschaft Schweiz-Israel, meinte, die Stellungnahmen ihrer Parteikollegin seien »nicht ausgewogen« gewesen.
Ob diese Kritik aus den eigenen Reihen Calmy-Rey beeinflussen kann, ist mehr als fraglich. Die 61jährige, die einen ausgesprochenen Sinn für Selbstdarstellung und Medienauftritte hat, ist Kritik oft nicht zugänglich. Ein Blick in die Leserbriefspalten der Zeitungen wird sie eher ermuntern – neben verschiedenen kritischen Zuschriften erhält sie in diesen Tagen dort nämlich auch sehr viel Unterstützung.
Nach Ende des Konfliktes wird man wohl in Bern viele Fragen stellen müssen, denn mit solch einseitigen Stellungnahmen hat sich die Schweizer Außenministerin in ihrer gern gesehenen Rolle als mögliche Vermittlerin im Konflikt vermutlich für längere Zeit selbst aus dem Spiel genommen.