säkular-religiöses Paar

Einig im Gegensatz

von Sabine Brandes

Noch zwei Stunden bis Schabbat. Auf den Straßen wird es ruhiger, Geschäfte schließen, Cafébesitzer stellen die Stühle hoch. In den Häusern indes herrscht Geschäftigkeit. Ein gewöhnlicher Freitagnachmittag in Israel. Auch im Hause Dratwa bereitet man sich auf den Schabbat vor. Die Leuchter werden aus dem Regal geholt, Challateller und Kidduschbecher auf den Tisch gestellt. Aus der Küche duftet es verführerisch.
Karmit und Scharon Dratwa sind beide Israelis aschkenasischer Herkunft und sind doch ein gemischtes Paar. Er trägt Kippa, im Trauermonat Bart und besucht regelmäßig die orthodoxe Synagoge. Sie liebt Jeans, offene Haare und Telefonieren am Samstag. Gegensätze ziehen sich an, sagt man. Scharon ist religiös, seine Ehefrau Karmit säkular. Doch die beiden verbindet mehr als das Unterschiedliche. Sie haben mit ihrem Verständnis füreinander eine große Gemeinsamkeit gefunden. Eine, die zusammenhält – seit acht Jahren schon. Mittlerweile hat das Paar zwei Töchter, Hadar, fünfeinhalb, und Roni, zweieinhalb.
Karmit, 41, arbeitet als Sozialarbeiterin am Ichilov-Krankenhaus, Scharon ist politischer Rechercheur und 39 Jahre alt. Sie lernten sich durch Bekannte kennen. Ein echtes Blind Date, offenbaren beide und kichern. »Zuerst war ich geschockt, daß mir jemand ein Treffen mit einem Religiösen vorschlug«, erinnert sich Karmit. Doch der Bekannte war hartnäckig. Dieser Mann sei etwas Besonderes, sie müsse ihn auf jeden Fall kennenlernen. Sie fand das Treffen ausgesprochen angenehm. Schnell merkten beide, daß sie, entgegen ihrer religiösen Überzeugung, viel gemeinsam hatten. Nach drei Monaten machte Scharon ihr einen Antrag, und Karmit sagte ja.
Sie habe sich nie vorstellen können, mit einem religiösen Mann zusammenzuleben, gesteht sie. Die Toleranz ihres Mannes aber machte es leichter. Daß es funktioniert, beweisen sie jeden Tag. Natürlich gebe es viele Kompromisse, sagt Scharon. Es sei aber nicht so, daß die Vorstellungen des einen schwerer wiegen als die des anderen. Der Schabbat ist ein Beispiel. Scharon hält die Gebote des wöchentlichen Feiertags ein und vermeidet strikt die im Talmud aufgeführten verbotenen Arbeiten. Seine Frau nicht. Ihrem Mann zuliebe ist das Haus der Familie zwar koscher und der Schabbat hauptsächlich für die Familie da, doch Karmit telefoniert oft stundenlang und setzt sich manch- mal auch hinters Steuer. Wenn die Tochter zu einer Geburtstagsfeier eingeladen ist, die zu Fuß nicht zu erreichen ist, fährt sie. »Ich will auf keinen Fall, daß meine Kinder darunter leiden.« Scharon akzeptiert das.
Überhaupt scheint Verständnis eine ausgeprägte Charaktereigenschaft des Mannes zu sein, der selbst aus einer »gemischten Familie« stammt. Die große Tochter will die fünfte Extrarunde auf dem Karussell, er schubst an. Wenn Roni partout nicht ins Bett will, trägt Scharon sie noch einmal auf den Schultern durch die Wohnung.
Aber um tolerant sein zu können, braucht man eine eigene Überzeugung. Als Teenager war Scharon klargeworden, daß Jude zu sein für ihn mehr ist als Apfel mit Honig zu Rosch Haschana. Mit 14 schrieb er sich an einer Jeschiwa der Streitkräfte ein, die eine religiöse Ausbildung mit der Vorbereitung auf die Armee verbindet. Geduldig erklärt der ehemalige Regierungsberater, warum er seinen lukrativen Job für seine Überzeugung kündigte. Viele Jahre war er Mitglied des Likud. Bis zu dem Tag, an dem Ministerpräsident Ariel Scharon den Abzug aus dem Gasastreifen besiegelte. Noch heute drücken die zehn Aufkleber an seinem Auto die Trauer über das Geschehene aus.
Karmit wuchs in einer nicht-religiösen Familie im Norden von Tel Aviv auf, einer typischen Gegend der säkularen Israelis. Dort lebt sie nach wie vor mit ihrer Familie. »Ich bin eine echte Ramat-Hascharoni«, sagt sie und lacht.
Lange jedoch werden sie hier nicht mehr wohnen. Hadar wird im September in die erste Klasse gehen, in der Kleinstadt jedoch gibt es nur säkulare Schulen. Ein Umzug steht an. Keine leichte Entscheidung, die unmittelbare Nähe der Großeltern und engen Freunde ist allen wichtig. »Es ist sehr traurig«, gesteht Karmit. Aber das ist das Abkommen, das sie mit Scharon geschlossen hat: Die Kinder werden in jeder Hinsicht religiös und säkular erzogen. Karmit findet, daß das die einzig richtige Schlußfolgerung ist. Scharon sagt: »Unsere Kinder leben beide Seiten zu Hause, das sollen sie auch in der Schule. Alles andere wäre inkonsequent und unnatürlich.«
Die Dratwas sind nicht das einzige säkular-religiöse Paar im jüdischen Staat. Dennoch sind sie eine Ausnahme. Meist paßt sich ein Ehepartner an, um den Frieden im Haus nicht zu gefährden. Bei Karmit und Scharon kommt »Schlom Beit«, weil sie einander mit ihren persönlichen Überzeugungen achten. »Es ist ein großer Verlust, wenn sie wegziehen«, sagt Dorit Reize, eine Freundin der Familie. »Weil sie uns und unseren Kindern vorleben, wie man miteinander umgehen sollte. Die beiden sind gelebte Toleranz und Vorbild für alle.«

Kultur

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