Ein Goldener Löwe für Israel. Als erster israelischer Film überhaupt in der 77-jährigen Geschichte der Filmfestspiele von Venedig hat am vergangenen Wochenende Samuel Maoz’ Lebanon den hochkarätig besetzten Wettbewerb dieses renommierten »A-Festivals« gewonnen.
Maoz’ Gewinn ist der bisher wichtigste Erfolg des israelischen Kinos bei einem internationalen Filmfestival. Ob man sich über diesen aber vorbehaltlos freuen kann, ist eine andere Frage. Maoz erzählt von einer israelischen Panzerbesatzung zu Beginn des Libanon-Feldzugs 1982. Man hört Gespräche der Soldaten, auch den Funkverkehr.
Der Zuschauer steckt mit im Panzer, kommt bis zum Ende des Films nicht heraus. Alles was man so ausgeliefert sieht, ist das Panzerinnere und das, was der Blick durchs Zielfernrohr freigibt. Das ist eine Viertelstunde lang aufregend, dann aber schnell ermüdend, und, wenn man zu denken anfängt, bald ärgerlich.
Männerfilm Denn wie bei einer Geisterbahnfahrt werden Stationen des Schreckens abgehakt. Man sieht ein Gruselkabinett: Tote, Versehrte, Verkrüppelte, Trau- matisierte. Die einzige Frau in diesem Männerfilm erlebt erst einmal, wie Mann und Tochter getötet werden. Schreien und Verzweiflung – aber sie genügen nicht, sie verliert auch noch ihre Kleider.
Bei Szenen wie diesen fühlt man sich kurz in einen Exploitation-Film der 70er-Jahre versetzt. Offenkundig geht es vor allem darum, die Zuschauer zu quälen und unter Druck zu setzen, mit solchen Bildern, mit einer übertrieben lauten Tonspur. Ein manipulatives Verfahren, das vor allem belegt, dass der sehr konstruierte, spekulative Film seinem Stoff nicht vertraut.
Die moralisch-politische Perspektive erscheint doppelzüngig: Maoz vollbringt das Kunststück, einen israelfreundlichen und israelkritischen Film zugleich zu machen. Sicher, er will aufwühlen und anklagen. Andererseits sitzen im Panzer nur liebe Jungs, die Skrupel haben, die nicht schießen können, die am liebsten nach ihrer Mami schreien würden und die vor allem nicht schuldig werden wollen. Ist Krieg so? Vielleicht. Gab es das? Bestimmt. Aber bestimmt nicht nur.
Wären alle Soldaten so wie diese hier, wäre die israelische Armee seinerzeit jedenfalls nie bis Beirut gekommen. Am Ende blendet Lebanon alle Schuldfragen aus. Krieg ist schlimm – soll das alles sein? Das, was vor einem guten Jahr Ari Folmans Waltz with Bashir versagt blieb – den ästhetisch fraglos interessanteren und argumentativ besseren Film – gelingt nun Maoz. Wie schon in Waltz with Bashir steht auch in Lebanon das persönliche Kriegserlebnis des Regisseurs im Zentrum des Films und wird zum Argument für die Glaubwürdigkeit des Gezeigten. Ohne diesen Rückgriff auf die eigene Erfahrung wäre der Film viel angreifbarer. So hingegen erscheint er authentisch. Hinzu kommt eine gewisse Popularität von Israelkritik und -selbstkritik auf internationalen Filmfestivals, die zu diesem Preis beigetragen hat.
wahnsinn Um die Traumata, die aus Krieg folgen können, kreist weitaus interessanter Todd Solondz’ Life During Wartime. Eine vage Fortsetzung von Solondz’ Happiness (1999). Drei Schwestern, im Zentrum Trish und ihr Sohn Timmy (Dylan Riley Snyder), der in wenigen Wochen seine Barmizwa feiern wird. Der Vater sitzt im Gefängnis, weil er sich als Soldat im Irakkrieg an kleinen Jungen vergangen hat – die Familie muss unter den Folgen leiden. Und auch sonst scheint Kommunikation hier unmöglich. Eine schreckliche Geschichte, aber im Ton einer Komödie erzählt. Im Stil eines jüngeren, zynischeren Bruders von Woody Allen zeigt Solondz in schönen, prächtig inszenierten Bildern den Wahnsinn des Lebens in Zeiten der Bush-Ära.
schönheit Der wohl beste Film ging bei dem Festival in Venedig leer aus: White Material von der Französin Claire Denis spielt in Afrika und ist eine feinsinnige Reflexion über den Kolonialismus und die Verhältnisse zwischen Schwarz und Weiß. Keine der beiden Seiten wird dabei geschönt. Isabelle Huppert spielt eine Plantagenbesitzerin, die während eines Bürgerkriegs statt zu fliehen im Land bleibt. Daraus wird die Chronik einer angekündigten Katastrophe: Denn mehr und mehr regiert das Chaos, fallen die festgefügten Strukturen des Lebens auseinander, brechen die Dämme der Zivilisation, bis auf der Farm Mord und Totschlag das Kommando übernehmen. So wird der Film auch zur Metapher auf derzeitige Selbstzweifel des Westens. Die Bilanz fällt nicht gut aus, und die Zukunft erscheint düster. Auf der Kinoleinwand, auch das sollte man nicht vergessen, ist all das aber paradoxerweise wundervoll anzusehen: Genau, klar, von finsterer funkelnder Schönheit.