von Richard Herzinger
Die SPD solle »keine Tabus links von der Mitte aufbauen«, meint Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit mit Blick auf mögliche Koalitionen der Sozialdemokraten mit der Partei »Die Linke«. Doch die hat sich mittels der Agitation ihres Vorsitzenden Oskar Lafontaine von ganz allein in der antidemokratischen Tabuzone eingemauert. Der einstige Chef der deutschen Sozialdemokratie passt seine Rhetorik der Terminologie der verflossenen DDR-Diktatur an. Lafontaine hält nicht nur den Irakkrieg, sondern auch den UNO-mandatierten Afghanistan-Einsatz der Nato für »völ- kerrechtswidrig«. Seine Begründung hört sich an, als sei sie einer leninis- tischen Lehrfibel über »Imperialismus« entnommen. Der Westen führe nicht Krieg, um »Menschenrechte durchzusetzen, sondern weil Rohstoffquellen und Absatzmärkte erobert werden sollen«. Das sei »die Folge des weltwei- ten Systems des Finanzkapitalismus«.
Gegen dieses »System« sieht Lafontaine den »politischen Streik« als legitimes Mittel an. Der repräsentativen Demokratie bescheinigt er eine »Krise«, weil »zwei Drittel des Deutschen Bundestages« ihre Entscheidungen »gegen die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung« träfen. Was von der »Machtkontrolle« durch »direkte Demokratie« zu halten ist, die Lafontaine dagegen als Heilmittel empfiehlt, zeigt sein Bekenntnis zum lateinamerikanischen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«, wie ihn Venezuelas autokratischer Präsident Hugo Chavez praktiziert. Der ist gerade dabei, eine staatlich gelenkte Einheitspartei zu gründen und die Medien gleichzuschalten – wie es schon im Sozialismus des 20. Jahrhunderts Usus war. Chavez nennt den US-Präsidenten einen »Teufel« und hat sich auf dieser Basis ausgerechnet mit dem islamistischen Regime des iranischen Staatschefs Mahmud Ahmadinedschad verbrüdert. Lafontaine bemüht sich nicht einmal, seine geistige Nähe zu diesen seltsamen Bettgenossen zu kaschieren. Nur knapp konnte ihn sein Parteifreund Gregor Gysi davon abhalten, nach Teheran zu reisen, um mit dem Holocaust-Leugner Ahmadinedschad über »Schnittmengen zwischen linker Politik und islamischer Religion« zu beraten.
Das rhetorische Strickmuster, nach dem Lafontaine seine Diffamierung westlicher Demokratien betreibt, ist die Gleichsetzung. Die politische Verfolgung in der DDR nennt er in einem Atemzug mit dem Vorgehen gegen die »Kommunisten, die in der Bundesrepublik Deutschland eingesperrt und verfolgt wurden«. George W. Bush, Tony Blair und viele andere sind für ihn ebenso »Terroristen« wie die Massenmörder der Al Kaida. Während des Libanonkriegs im vergangenen Sommer forderte er, eine internationale Friedenstruppe müsse »beiderseits der Grenzen« stationiert werden, sonst sei sie zwischen den Konfliktparteien »nicht neutral«. So stellt Lafontaine Israel auf eine Stufe mit einer illegalen bewaffneten Miliz, der Hisbollah, die den libanesischen Staat als Geisel für ihre terroristischen Aktivitäten genommen hat.
Ungeniert spielt Lafontaine auch die nationale Karte. Den alten Sozialstaat der Bundesrepublik will er nicht zuletzt deshalb wiederherstellen, weil er »Millionen Deutschen Identität in ihrem Staat gegeben hat«. Während Linke früher für ihr Bestreben bekannt waren, die Begrenzungen des Nationalstaats zu überwinden, kämpft Lafontaine jetzt für dessen Zementierung: Es dürfe nicht sein, »dass der Raubtierkapitalismus, der Finanzkapitalismus weltweit operiert, ohne dass die Nationalstaaten diesem Treiben ein Ende bereiten und Schranken setzen«.
Mit seiner sozial-nationalen Demagogie hat sich Lafontaine die jüngsten Avancen der Rechtsextremisten zur Bildung einer »Querfront« redlich verdient. Ein führender NPD-Funktionär lobte Lafontaine kürzlich, er vertrete »lupenreine NPD-Positionen«. Diese unheimliche Nähe ist innerhalb der Linkspartei paradoxerweise am ehesten noch vielen Ex-PDS-Kadern peinlich. Speziell die jüngeren »Reformer« hatten sich jahrelang bemüht, ihr totalitäres Erbe zu überwinden und die SED-Nachfolgepartei an die Spielregeln der pluralistischen Demokratie zu gewöhnen.
Lafontaine treibt sie jetzt zurück in eine irrationalistische Fundamentalopposition. Mit ihm sind Scharen von unbelehrbaren westdeutschen Alt-Linksradikalen auf den PDS-Zug aufgesprungen – mitsamt ihrem manischen Antikapitalismus, Antiamerikanismus und ihrer als »Antizionismus« deklarierten Israelfeindschaft, die auch vor Solidarität mit der Hamas nicht Halt macht. Einigen in der Linkspartei bereitet das immerhin Unbehagen. Soll eine Zusammenarbeit mit der »Linken« für Demokraten wirklich nicht mehr tabu sein, müssen sie da- gegen aufbegehren.
Richard Herzinger ist Redakteur der »Welt am Sonntag« und leitet die Online-Kommentarseite »Welt Debatte« (debatte.welt.de).