von Tobias Kaufmann
»Hinter dieser Ehrung können sich alle Juden in Deutschland versammeln.« Diese Botschaft von Dieter Graumann, Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei der Verleihung des Abraham-Geiger-Preises 2006 am Montag hat eine doppelte Bedeutung: Sie ist ein Lob für den Preisträger, Karl Kardinal Lehmann, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Zugleich soll die Formulierung wohl auch unterstreichen, wie sehr sich die Beziehung zwischen dem Zentralrat und der Union Progressiver Juden in den vergangenen zwei Jahren verändert hat.
Graumann erinnert in seinem Grußwort in der Bayerischen Vertretung in Berlin an öffentliche Auseinandersetzungen und persönliche Streitigkeiten. »Als wir uns zum ersten Mal zusammensetzten, um miteinander zu reden, herrschte eine Atmosphäre, gegen die man das Klima in einem Gefrierschrank als kuschelig bezeichnen könnte.« Nun, zwei Jahre später, sind erstmals liberale Gemeinden Mitglied des Zentralrats, und die Dachorganisation begleitet die Preisverleihung des von der Union getragenen Abraham-Geiger-Kollegs. Und der Präsident der Welt-Union des progressiven Judentums, Rabbiner Uri Regev, nennt den Zentralrat »die vereinte Stimme der jüdischen Gemeinschaft«. »Sie sind hier soeben Zeugen einer Familienzusammenführung geworden«, sagt »Zeit«-Herausgeber Josef Joffe erkennbar erfreut, bevor er dem katholischen Geistlichen den Preis überreicht.
Bei allen bestehenden Unterschieden ist Lehmann auch an diesem Abend ein Indiz für jüdische Einigkeit. Egal, ob Rabbiner Walter Homolka vom Geiger-Kolleg, Ernst Ludwig Ehrlich von der Leo-Baeck-Foundation, ob Regev oder Graumann – Respekt, Verbundenheit und Dankbarkeit für den katholischen Bischof bringen sie alle zum Ausdruck. »Sie sind ein Freund der jüdischen Gemeinschaft, ein Streiter für Toleranz, Kämpfer für Frieden und ein Fels der Verläßlichkeit«, sagt Graumann an die Adresse des Geehrten. Homolka betont gar, daß »die Deutschen« Lehmann »lieben«, und Ehrlich würdigt den Bischof als Kämpfer gegen den kirchlichen Antijudaismus.
Der Geehrte gibt das Lob zurück. Einen großen Teil seiner Festansprache widmet er Abraham Geiger als großem Vordenker des Reformjudentums und Leo Baeck als eine der größten Rabbinerpersönlichkeiten überhaupt. »Ich verstehe diese Ehrung in einem als Gabe und Aufgabe«, sagt Lehmann. Im Sinne des jüdisch-christlichen Dialogs hat der Kardinal sein Preisgeld gestiftet, das von einer anonymen Spenderin auf 10.000 Euro verdoppelt wurde. Im Oktober will das Abraham-Geiger-Kolleg von dem Geld ein Symposium über katholisches und jüdisches Recht in Rom veranstalten. Zudem wird das Kolleg, das im September seine ersten drei Rabbinatsstudenten in Dresden ordiniert, eine Dozentur für Predigtlehre einrichten, gespendet von der Ephraim-Veitel-Stiftung. Den Ruf erhält mit Heinz-Günther Schöttler – ein katholischer Professor aus Bamberg.