Ein Mann steht auf einem kleinen Hügel. Er trägt eine dunkle Jacke, weiße Hosen und einen weißen Hut. Vor ihm im Sand stehen an diesem Tag des Pessachfestes rund 100 Menschen. »Ich erklärte ihnen ganz genau die Regeln der Verlosung«, schrieb Akiva Arie Weiss in seinen Me-
moiren. »Damit sich keiner danach be-
schwert, schrieb ich die Namen der Teilnehmer nicht auf Zettel, sondern in weißen Muscheln auf, die Nummern der Grundstücke in farbigen.« Diese Lotterie am 11. April 1909 gilt als Geburtsstunde Tel Avivs.
»Als meine Mutter mir erzählte, dass Großvater Tel Aviv gegründet hatte, klang das für mich wie ein Märchen«, sagt Edna Yekutieli Cohen. »Denn alle sagten, Meir Dizengoff sei der Vater der Stadt.« Erst nachdem sie die Memoiren Weiss’ las und ihre Magisterarbeit über Tel Aviv verfasst hatte, wurde sie zur Familienforscherin. Ihr neues Buch, Eine Stadt von ihrem Beginn an, das in Israel anlässlich des 100. Jubiläums Tel Avivs erschien, ist eine Hommage an den tatkräftigen Visionär.
Weiss wurde 1868 in Belarus geboren und wuchs im polnischen Lodz auf. Wie sein Vater, wurde er Silberschmied, aber seine große Leidenschaft galt der Architektur. In seiner Freizeit gründete er die zionis-tische Synagoge und leitete die zionistische Gesellschaft in Lodz. Der Roman Altneuland von Theodor Herzl veranlasste Weiss 1904, das Land zu besuchen. »In Jaffa trauerten alle Juden um Herzls Tod«, sagt Cohen. »Um den Zionismus zu retten, beschloss er, das Land Israel durch Industriestädte zu besiedeln.«
1906 kam der Neueinwanderer Weiss mit seiner Frau und sechs Kindern in Jaffa an. An jenem Abend präsentierte er einer Versammlung seinen Plan, die engen schmutzigen Quartiere in der arabischen Stadt zu verlassen und in Privatinitiative eine moderne, jüdische Stadt zu gründen, auf einem Grundstück außerhalb von Jaffa . Sie nannten ihre Stadt Tel Aviv, Hebräisch für »Frühlingshügel« und zugleich der he-
bräische Titel des Romans Altneuland. Als Weiss 1910 mit seiner Initiative scheiterte, Tel Aviv zu erweitern, trat er vom Gründungsverein zurück und wurde von Dizengoff aus der Geschichte verbannt.
Aber Weiss setzte seine Vision fort. Er gründete eine Baufirma, kaufte neue Grundstücke und baute die erste Synagoge mit. Er starb 1947 und findet erst jetzt durch Cohen seinen gebührenden Platz in der Geschichte Tel Avivs. Igal Avidan
Tel Aviv