»Eine große Ungerechtigkeit«
Steven Weinberg über Israel-Boykottaufrufe in Großbritannien
Herr Professor Weinberg, Sie haben im Mai eine Einladung des Imperial College in London ausgeschlagen, dort einen Vortrag zu halten. Warum?
weinberg: Im Mai gab es einen Boykottaufruf gegen Israel von der National Union of Journalists. Journalisten sollten eigentlich unparteiisch sein. Wenn Journalisten ein einzelnes Land herauspicken, dessen Existenz seit seiner Gründung bedroht ist und das nur versucht zu überleben, ist das eine derartig große Ungerechtigkeit, dass ich das Gefühl hatte, ich müsste etwas tun. So schrieb ich ans Imperial College, dass ich nicht kommen würde.
Da wussten Sie noch nicht, dass eine Woche später auch die University and College Union für einen Israel-Boykott stimmen würde. Fühlen Sie sich dadurch bestätigt?
weinberg: Natürlich. Auch in der größten britischen Gewerkschaft Unison wird über einen Israel-Boykott nachgedacht. All das bestätigt mich in meiner Entscheidung. Ich bedaure das sehr. Ich rufe niemanden auf, England zu boykottieren. Das ist eine rein persönliche Entscheidung. Es wäre auch anmaßend, andere zum Boykott aufzurufen. Ich hoffe, dass meine Aktion einige Leute in England wachrüttelt, die durch die einseitige Berichterstattung irregeführt werden.
Halten Sie diese Ereignisse für symptomatisch für ganz Europa?
weinberg: Ja, das sehe ich so. Mein Augenmerk gilt besonders Großbritannien, weil ich starke Verbindungen zu diesem Land habe. Aber soweit ich weiß, ist es in anderen europäischen Ländern nicht besser. Vor zwei Wochen war ich in Padua, dort wurde die alte Synagoge von Polizisten geschützt. Ich fragte meinen italienischen Gastgeber, was das soll, und er sagte, das sei nötig als Schutz gegen Vandalismus. In Amerika ist das anders. Zwar gibt es auch hier Antisemitismus, aber auf sehr viel niedrigerem Niveau. Ich lebe in Texas und habe hier überhaupt keine Probleme.
Aber gibt es nicht gerade im amerikanischen Universitätsbetrieb eine starke antiisraelische Ausrichtung?
weinberg: Ja, dort schon. Und leider besonders auf der Linken. Das betrübt mich sehr, denn in anderen Punkten sympathisiere ich eher mit der Linken. Zum Teil ist das »postkoloniale« Dummheit, zum Teil offener Antisemitismus, zum Teil auch Angst vor der arabischen Welt. Mit solchen Leuten möchte man es sich lieber nicht verscherzen. Man hat gesehen, was mit Theo van Gogh passiert ist.
Mit dem Physik-Nobelpreisträger von 1979 sprach Ingo Way.