von Wolfgang Benz
Bernd Neumann, der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, hat ein Papier vorgelegt, das trotz seiner 27 Seiten wenig Kontur hat und mehr Rätsel aufgibt als Fragen beantwortet. Der Titel des Dokuments: »Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen«.
Erfreulich ist zunächst die Nachricht, dass die Gedenkstätten Dachau, Bergen-Belsen, Neuengamme und Flossenbürg in die anteilige Grundfinanzierung durch den Bund (zusätzlich zu den Aufwendungen des jeweiligen Sitzlandes) aufgenommen werden. Wie notwendig das ist, zeigt der unwürdige Streit um die Erhebung von Eintrittsgeld, der jüngst in Dachau ausgebrochen ist.
Die Finanznot der Gedenkstätten ist endemisch, weil die Geldgeber der öffentlichen Hand nach Abschluss der Renovierung oder Neukonzeption die Sache für erledigt und weiteren Aufwand für nicht erforderlich halten. Dieses Gesetz gilt überall. Nach der Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden wurden Mitarbeiterstellen gestrichen, und um die Betriebskosten musste gefeilscht werden. Gleiches passiert jetzt auch in Flossenbürg, wo am Sonntag die neue Ausstellung in der gründlich renovierten KZ-Gedenkstätte mit einem feierlichen Staatsakt eröffnet wurde: Die Verträge der Historiker, die die Inhalte erarbeitet haben, laufen in dem Moment aus, in dem die Gedenkstättenarbeit beginnt. Wer führt die Besucher? Wer beantwortet ihre Fragen? Wer erarbeitet die pädagogischen Konzepte, mit denen das Angebot einer Gedenkstätte erst Sinn stiftet? Das kostet Geld, dafür braucht man Stellen, und da wird eisern gespart.
Der Bund will, durch Projektförderung und institutionell, Erinnerungspolitik gestalten helfen. Das ist löblich. Aber wer berät den Bundesbeauftragten für Kunst und Medien bei der Vergabe der Mittel? Ein Gremium ist angekündigt, das Empfehlungen ausspricht. Nur Empfehlungen? Hat die Behörde größeren Sachverstand als die Experten? Und falls ja, wird sie ihn nicht nach politischen Gesichtspunkten einsetzen? Die Besorgnis kommt nicht von ungefähr: In dem Gremium sollen zwar Wissenschaftler und Museologen Sitz und Stimme haben, nicht aber die Gedenkstätten. Warum ist für deren Kompetenz nur ein demütigender Gaststatus vorgesehen?
Auch die Erfindung einer »ständigen Konferenz der Leiter der Berliner NS-Gedenkorte« erscheint kaum als das scharfe Instrument, das Konkurrenz verhindert und Harmonie stiftet, nicht einmal die gern beschworenen Synergieeffekte werden sich einstellen. Wirkungsvoll wäre nur ein Generalsekretär oder Intendant, der Autorität hat und sie einsetzen kann. Der jährlich wechselnde Vorsitz eines Gremiums, das die Geschäftsführer der Topographie des Terrors, der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, des Hauses der Wannsee-Konferenz und der Gedenkstätte Widerstand zu Gesprächsrunden zusammenführt und darüber berichtspflichtig macht, wird schwerlich Innovationen herbeizwingen.
Was nottut, ist Aufklärung mit verteilten Rollen und einem erkennbaren Ziel. Rufe nach Vernetzung, nach gemeinsamem öffentlichen Auftritt sind Formeln der Ratlosigkeit. Gleiches gilt für die Ankündigung, durch die neuen Denkmale und die »ständige Konferenz« erhalte »die gesamtstaatliche Repräsentation des Gedenkens an die NS-Verbrechen eine neue Qualität«.
Das größte Rätsel, das das Papier des Staatsministers aufgibt, ist aber die Frage, wann endlich die Zweigleisigkeit des Erinnerns enden soll. Unbestritten ist der Nachholbedarf in Sachen SED-Staat und deutsche Teilung. Unbestreitbar ist auch, dass dies nicht nur die neuen Bundesländer und die ehemaligen Bürger der DDR angeht. Und unbestreitbar ist, dass die öffentliche Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus (die nicht nur den Holocaust in den Blick nehmen darf) den Angelpunkt unserer politischen Kultur bildet. Diese Verpflichtung steht nicht in Konkurrenz zur Erinnerung an das SED-Regime. Deshalb bleibt die Teilung der Erinnerungspolitik unverständlich. Die Trennung in Erinnerungsorte zur NS-Terror- herrschaft und in Institutionen des »Geschichtsverbundes SED-Unrecht« erzeugt Spannungen, Konkurrenz und Eifersucht der Gedenkorte, die darüber zu Interessenten werden. Eine Front »Erinnerungsarbeit SED-Regime« gegen »Erinnerungsarbeit NS-Zeit« schadet beiden.
Was wirklich gebraucht wird, ist ein größerer Wurf, ein Gedenkstättenkonzept, das die Fraktionierung der Erinnerungspolitik beendet und neue Wege beschreitet – jenseits von allein emotionaler Betroffenheit in Sachen Nationalsozialismus und jenseits eines Diktaturvergleichs, der alle Unterschiede im Namen der Totalitarismusmythen einebnet.
Der Autor leitet in Berlin das Zentrum für Antisemitismusforschung.