von Martin Krauss
»Was kann ich Ihnen denn noch zuschicken?«, fragt Arnd Krüger am Ende des über einstündigen Interviews. »Ich habe doch seit 30 Jahren über Antisemitismus publiziert.« Krüger ist Professor für Sportwissenschaften in Göttingen. Seit gut einer Woche gilt er in seiner Zunft als erledigt.
Ende Juni trug Krüger auf einer Tagung vor 40 Kollegen Thesen zum Olympia-Attentat in München 1972 vor. »Es gab Informationen und Warnungen, dass ein Anschlag auf das israelische Team geplant war«, große Teile der Mannschaft seien in Münchner Privatwohnungen untergebracht worden, unter anderem das gesamte Frauenteam. »Unter dem Siegel der Verschwiegenheit« habe ihm die Leichtathletin Hana Shezifi am 5. September 1972 erzählt, sie selbst sei ausgezogen. Krüger versteigt sich zu der These, die Sportler, die im Olympischen Dorf blieben, seien »bewusst in den Tod gegangen, um der Sache Israels als ganzer zu nutzen«; er spricht sogar von einer »politischen Entscheidung«.
Krügers Power-Point-Präsentation hatte den vielsagenden Untertitel »Wie vermitteln wir die Zeitgeschichte des Sports, ohne uns in den Fallstricken des Antisemitismus zu verhaspeln?« Solche Fallstricke hat er sich selbst gelegt: Der angeblich freiwillige Tod der Athleten könnte, so Krüger, eine »Grundlage für die Verlängerung der Schuld(en) Deutschlands gegenüber Israel« sein, »das schlechte Gewissen gegenüber Israel wurde noch verstärkt«.
Im Interview sagt Krüger, sein Vortrag habe doch kaum Behauptungen enthalten, »er wimmelt vielmehr von Fragezeichen«. Aber es sind Fragen wie diese: »Darf man das unterschiedliche Menschenbild in Israel und Deutschland in diesem Zusammenhang diskutieren?« Man darf, glaubt Krüger, und er will damit auch erklären, wa- rum die elf Sportler »freiwillig« in den Tod gegangen seien. Er führt aus: »Jüdische Kultur versucht, Leben mit Behinderungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern.« Krüger beruft sich dabei auf eine israelische Dissertation der israelischen Soziologin Yael Hashiloni-Dolev über Reproduktionsgenetik in Deutschland und Israel. Dort heißt es, in Israel werde ein Fötus nur dann als »kulturell (und daher medizinisch) lebensfähig« betrachtet, wenn er »gesund« und »normal« sei.
Dass das »dummes Zeug« ist, haben einige Kollegen gleich moniert. Der Gießener Sportwissenschaftler Norbert Gissel hält fest: »Bis zur Behauptung eines anderen Körperbildes ist der Vortrag nur schlecht und unbelegt gewesen. Ab diesem Punkt fing es an, rassistisch zu werden.« Abends wurde dann beschlossen, dass Krügers Beitrag nicht im Tagungsband veröffentlicht wird. Nachdem der Deutschlandfunk über den Vorfall berichtet hatte, gab es erste Reaktionen außerhalb der Wissenschaft: »Dehumanisierung des Staates Israel« (israelische Botschaft), »antisemitisches Menschen- bild« (Deutscher Olympischer Sportbund), »Antisemitismus pur« (Zentralrat der Juden in Deutschland), »antisemitischen Positionen wird Vorschub geleistet« (Uni Göttingen). Auch die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft distanzierte sich »von den völlig inakzeptablen Behauptungen« und leitete ein Ausschlussverfahren ein.
Während Krüger nach einigen Tagen seinen Vortrag zurückzog und bedauerte, »dass meine Ausführungen Anlass dafür gegeben haben könnten, das Leid der Angehörigen zu vergrößern«, gibt es auch andere Stimmen. »Aufgebauscht« nennt eine Teilnehmerin die Aufregung. Krüger habe »doch nur israelische Freunde zitiert«. Von einigen ist zu hören, dass man als Deutscher wohl nicht sagen könne, was ein Israeli sehr wohl aussprechen dürfe.
Der 64-jährige Arnd Krüger gilt als liberaler Historiker, er engagiert sich in der niedersächsischen FDP. Und schon immer interessierte er sich für Israel. Krüger glaubt sogar, mitteilen zu müssen, bei welchen Israelis er schon gewohnt und auf welcher jüdischen Hochzeit er getanzt hat. Ein Kollege sagt: »Es ist wohl so, dass er privat Dinge aufgeschnappt hat, ohne sie zu überprüfen.« Auch der Münsteraner Sporthistoriker Michael Krüger, nicht verwandt mit Arnd Krüger, ist irritiert: »Er protzt ja mit seinen Israelkontakten. Das ist nicht sehr wissenschaftlich.«
Die Unwissenschaftlichkeit empört seine Kollegen am meisten. Schon für die Behauptung, der größte Teil des Teams sei in Privatwohnungen gezogen, hat Krüger keinen Beleg. Seine einzige Quelle ist das, was eine Sportlerin vor 36 Jahren zu ihm gesagt hat. Bereits 1999 hatte Krüger seine Thesen in einem englischsprachigen Sammelband vorgestellt. Dort heißt es, wegen der schlechten Sicherheitsvorkehrungen sei der Anschlag »nicht sehr überraschend« gewesen. »Auch die Israelis waren nicht überrascht, und daher blieb nur eine kleine ausgewählte Gruppe von ihnen, alle mit militärischem Dienstrang, im Olympischen Dorf.« Die Behauptung hatte er vor wenigen Monaten in einem Interview mit einer Göttinger Studentenzeitung noch gesteigert: »Von den männlichen Mitgliedern des israelischen Teams waren nur Geheimdienstler, Reserveoffiziere und Freiwillige da.« Heute sagt er kleinlaut: »Dafür habe ich keinen Beleg.«
Der Historiker Lorenz Peiffer nennt Krügers Konstrukt »abenteuerlich«. Peiffer hatte den damaligen Bürgermeister des Olympischen Dorfes, den späteren NOK-Präsi- denten Walther Tröger, gefragt, ob er etwas vom Auszug der Israelis wüsste. »Tröger sagt eindeutig: ›Da ist nichts dran.‹ Das hätte Krüger doch überprüfen müssen!«
Arnd Krüger steht nun vor einem selbst verschuldeten Scherbenhaufen. »Ich habe mich wohl überschätzt«, sagt er. In einer Erklärung heißt es: »Aus meiner eigenen persönlichen und auch freundschaftlichen Verbundenheit mit Teilen der israelischen Mannschaft liegt mir nichts ferner, als ihr Andenken in irgendeiner Weise herabzusetzen.« Der Uni Göttingen reicht das nicht; sie prüft, ob »Verdacht von wissenschaftlichem Fehlverhalten« vorliegt. Eines scheint allerdings schon jetzt sicher. Krüger hat sich selbst in den »Fallstricken des Antisemitismus« verheddert.