Herr Botschafter, was wünschen Sie sich ganz persönlich zum 60. Geburtstag Ihres Landes?
ben-zeev: Frieden.
Den bekommt man nicht geschenkt.
ben-zeev: Auch bei uns gibt es verschiedene Vorstellungen davon, wie ein Frieden aussehen sollte. Einig aber sind sich alle darin, egal, ob rechts oder links, dass wir Frieden wollen. Dafür hat sich Israel eingesetzt und wird sich Israel einsetzen. Nur zwei Jahrzehnte nach der Erlangung der Unabhängigkeit haben wir uns mit arabischen Gesprächspartnern getroffen. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Kurzem Israel besuchte, dachte ich daran, dass sie nach Ägyptens Präsident Anwar el Sadat die zweite Regierungschefin war, die vor der Knesset sprach. Sadat fand damals, 1977, keinesfalls nur freundliche Worte. Aber er beendete seine Rede mit dem Appell: »Kein Krieg mehr!« Damit begann ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Ägypten und Israel. Dasselbe gilt für Jordanien.
Wie aber soll der Frieden mit den Palästinensern zustande kommen?
ben-zeev: Eine berechtigte Frage. Gerade, wenn wir uns das Fundament ansehen, auf dem ein Frieden ruhen soll: die Zweistaatenlösung. Sie wurde 1947 von der UNO vorgeschlagen und von den Palästinensern abgelehnt. Werden die Palästinenser diese Lö- sung jetzt akzeptieren, obgleich sie damit eingestehen müssten, dass mittlerweile vier Generationen umsonst in Flüchtlingslagern leiden mussten? Sollte das so sein, hätten wir einen langen Weg vor uns. Ich glaube aber, dass es Hoffnung gibt – der schwierigen Tatsache zum Trotz, dass der Gasastreifen von der Hamas und die West Bank von der Fatah regiert wird.
Worauf gründet sich Ihre Hoffnung?
ben-zeev: Zum ersten Mal haben wir es meines Erachtens mit Präsident Machmud Abbas und Premierminister Salam Fajad mit einer zuverlässigen palästinensischen Führung zu tun, der daran liegt, das Leiden der Palästinenser zu beenden. Deshalb steht die Zweistaatenlösung ganz oben auf deren Agenda. Anders als noch vor 15 oder 20 Jahren gibt es auch auf der israelischen Seite einen weitreichenden Konsens, dass es zwei Staaten geben muss. Für eine solche Lösung sind wir bereit, schmerzhafte Kompromisse einzugehen. Unter einer Bedingung: Sicherheit.
Wird über diesen Punkt verhandelt?
ben-zeev: Wir führen permanent Gespräche, manchmal ganz offen, manchmal weniger offen. Der palästinensische Unterhändler Achmed Kurei und unsere Außenministerin Zippi Livni treffen sich regelmäßig. Aber wir haben immer noch das Problem, dass fast täglich von Gasa aus Raketen auf unser Territorium abgefeuert werden. Das können wir nicht akzeptieren, das muss aufhören.
Wie wollen Sie diese Angriffe stoppen? Mit der Hamas verhandeln oder Gasa wieder besetzen?
ben-zeev: Ich will hier nicht ins Detail gehen. Aber die wichtigste Aufgabe eines jeden Staates ist es, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, und das werden wir tun.
Noch einmal: Sollte Israel Gespräche mit der Hamas führen?
ben-zeev: Wenn die Hamas mit uns reden wollte, dann hätten wir damit kein Problem. Wie können wir mit jemandem reden, der uns gar nicht anerkennt, der uns vernichten will? Es geht ja nicht um Probleme wie Grenzen, Wasser und Ähnliches, sondern um die Frage, ob wir überhaupt existieren dürfen. Sollen wir mit der Hamas darüber reden, ob wir aus der Tür herausspazieren oder durchs Fenster springen sollen? Das ist keine Option.
Die Hamas müsste zuerst das Existenzrecht Israels anerkennen?
ben-zeev: Ja, und alle Verträge, die bislang geschlossen wurden. Und selbstverständlich den Terror beenden.
Sollten die Europäer mit der Hamas sprechen?
ben-zeev: Das müssen sie selbst entscheiden. Aber wir haben es hier mit einem komplizierten Balanceakt zu tun: Wenn es eine Chance gibt, die Seite der Moderaten mit Machmud Abbas und Salam Fajad zu unterstützen, dann sollte man genau das tun. Die Extremisten haben ja nicht nur uns, sondern auch der Fatah den Kampf angesagt. Europa spricht mit der Hamas – das hieße, die Möglichkeiten schwinden, auf die Fatah positiv einzuwirken.
Wie soll man mit der Hamas umgehen?
ben-zeev: Die Hamas ist keine Fiktion, sie ist eine ideologische Bewegung. Wir können sie nicht abschaffen, aber beeinflussen. Wir können eine Situation schaffen, in der die Hamas sich disziplinierter und weniger aggressiv gegenüber Israel verhalten muss. Dabei geht es nicht nur um uns. Die Hamas ist Teil des weitreichenden ideologischen Netzwerks der »Muslimbrüder«. Veränderungen der Hamas könnten also auch Auswirkungen in Ägypten, Syrien und anderen Ländern der arabischen Welt haben. Das sollten auch die Europäer in Erwägung ziehen, bevor sie sich in Sachen Hamas engagieren.
War der Rückzug aus Gasa richtig?
ben-zeev: »Was wäre, wenn...?« Eine solche Frage bringt einen in der Regel nicht weiter. Ich glaube, dass der Abzug richtig war. Wir wollten und wollen keine Besatzer sein. Nicht in Gasa und nicht in der West Bank. Als die Idee eines Abzugs aus Gasa von Ariel Scharon aufgebracht wurde, wussten wir, dass es nur zwei Optionen gab: Entweder würde der Landstrich ein neues Singapur werden, denn das Potenzial dazu hat Gasa: weißer Sand und wunderbares Wetter. Alles, was man braucht, um Touristen anzuziehen. Oder aus Gasa würde ein zweites Somalia. Die Palästinenser haben sich entschlossen, aus dem Gasastreifen ein zweites Somalia zu machen. Das wird sich in der West Bank nicht wiederholen.
Eine andere große Gefahr für Israel, wenn nicht für die ganze Welt, ist Irans Nuklearprogramm. Was will, was kann Israel dagegen unternehmen?
ben-zeev: Das ist ein langer Prozess, der nicht erst gestern begonnen hat und so bald nicht enden wird. Wir halten die Resolution 1803 des UNO-Sicherheitsrats und die Sanktionen, die darin beschlossen wurden, für sehr wichtig. Die Frage lautet allerdings: Kann man sie auch effektiv umsetzen? Das alles ist eine Angelegenheit der Staatengemeinschaft. Andere Länder, auch die Europäer, schätzen die Bedrohung durch einen nuklear bewaffneten Iran eher gering ein. Für uns stellt sich deshalb die Frage, wie können wir sie mithilfe der Diplomatie von der Dringlichkeit dieses Problems überzeugen? Schließlich ist der Iran in meinen Augen eine große Bedrohung für den gesamten Westen, nicht nur für uns.
Die Vernichtungsdrohungen richten sich aber gegen Israel.
ben-zeev: Der israelisch-palästinensische Konflikt ist für das iranische Regime nur ein Vorwand. Für Teheran gibt es Wichtigeres. Es strebt eine Kontrolle über den Persischen Golf und den »fruchtbaren Halbmond« an. Es will den Einfluss der Schiiten in der muslimischen Welt vergrößern. Der Iran nutzt radikale Gruppierungen, um auch im Rest der muslimischen Welt seinen Einfluss zu verstärken. Israel gerät dabei ins Visier, weil es eine Brücke zwischen der westlichen Welt und dem Nahen Osten ist. Für den Iran und radikale Muslime aber ist der wahre Feind der Westen, eine Moderne, die den Frauen einen gleichberechtigten Status garantieren würde.
Wird das im Westen, speziell in Europa oder Deutschland, verstanden?
ben-zeev: Davon bin ich überzeugt. Kanzlerin Merkels Verständnis dafür ist sehr ausgeprägt.
Und was ist mit der Öffentlichkeit, die den Kampf gegen den Terror schließlich mittragen muss?
ben-zeev: Die meisten Menschen denken nicht dauernd an die Bedrohung durch den Islamismus. Sie kümmern sich um ihre Familien, ihre Jobs und die Ausbildung ihrer Kinder. Auch für die Entscheidungsträger ist es sehr schwierig, eine Krise zu entdecken, wenn man bereits in ihr steckt. Die kulturellen Aspekte dieses Konfliktes reichen sehr tief, und es ist nicht immer leicht, sie zu erkennen.
Würde eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts auch die Hauptursache des islamistischen Terrorismus beseitigen?
ben-zeev: Das ist nur ein Vorwand, wie er gerne vom Iran benutzt wird. Innerhalb der arabischen Welt gab es schon viel größere Konflikte und wurden schon viel schlimmere Blutbäder angerichtet. Denken Sie an den Krieg zwischen Iran und Irak, an die Kämpfe im irakischen Basra, wo sich vor Kurzem irakische Polizeieinheiten heftige Schlachten mit den schiitischen Milizen lieferten. Ich glaube, Israel sollte nicht an vorderster Front stehen. Das ist weniger ein israelisches als ein europäisches Problem. Russland befindet sich wegen seiner geografischen Nähe zum Iran vielleicht sogar in einer prekäreren Lage. Noch einmal: Ein atomar bewaffneter Iran ist eine Bedrohung für die ganze westliche Welt.
Reichen Sanktionen aus oder muss auch ein militärisches Vorgehen in Betracht gezogen werden?
ben-zeev: Es ist immer besser, auf Gewalt zu verzichten. Wir haben eine UNO-Resolution, und die sollte vollständig umgesetzt werden. Es gibt ja noch Möglichkeiten, diese Sanktionen zu verschärfen. Ich glaube nicht, dass die Iraner es gern sähen, wenn man zum Beispiel ihren Akademikern die Einreise in westliche Länder verwehrte. Die Iraner sind sehr empfindlich, wenn es um ihren Nationalstolz geht.
Seien Sie mal ein Prophet und verraten uns, wo Israel in 60 Jahren stehen wird.
ben-zeev: Ich kann nur auf die vergangenen 60 Jahre zurückblicken. 1948 gab es etwa 600.000 Israelis, von denen ein Prozent im Krieg getötet wurde. Das war ein enormer Verlust, vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich um junge Leute, also um den wichtigsten Teil unserer Gesellschaft handelte. Aber schon zehn Jahre später hatte sich die Anzahl der Israelis auf 1,8 Millionen verdreifacht. Jetzt sind wir fast sieben Millionen. Vom natürlichen Wachstum einmal abgesehen, haben 600.000 Israelis etwa fünf Millionen Menschen eingegliedert. Das ist eine enorme Leistung. Eines der größten Wunder ist für mich immer noch, wie wir nach 2000 Jahren eine Sprache belebt haben. Heute ist sie Alltagssprache.
Keine Selbstverständlichkeit.
ben-zeev: Genau. Das gilt übrigens auch für andere Bereiche. Unser Land hatte nicht einen einzigen ruhigen Tag – dennoch hat es sich zu einem Zentrum für Wissenschaft, Forschung und Technik entwickelt. Israel ist einer der sieben Staaten der Welt, der Astronauten ins Weltall geschickt hat. Aber ich will nicht alles schönreden. Denn es fehlt uns weiterhin etwas Elementares: Frieden.
Bei der Suche nach Frieden ist Deutschland neben den USA wichtigster Partner Israels. Vor Kurzem gab es die ersten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, Angela Merkel hat eine Rede vor der Knesset gehalten. Das klingt nach großer Harmonie.
ben-zeev: Man muss die Regierungskonsultationen einfach erlebt haben, um zu verstehen, welch herausragende Qualität sie hatten. Das ist vor allem das Verdienst von An- gela Merkel und Frank-Walter Steinmeier. Das Arbeitstreffen war eine Idee der Regierungschefin, der Außenminister sorgte für eine angenehme, konstruktive Atmosphäre. Ein besseres Geschenk zum 60. Geburtstag Israels hätte ich mir nicht vorstellen können.
Das Gespräch führten Christian Böhme,
Detlef David Kauschke und Sylke Tempel.