Toronto

Eine Batmizwa für zwei

von Daniela Breitbart

Die kleine Susie war sechs Jahre alt, als sie von den Nazis umgebracht wurde – lange bevor sie das Batmizwa-Alter erreicht hatte. Die feierliche Zeremonie, mit der Jugendliche als vollwertige Mitglieder in die jüdische Gemeinschaft aufgenommen werden, war ihr nicht vergönnt. So wie ihr ging es 1,5 Millionen anderen Kindern, die während der Schoa ermordet wurden.
Das Holocaust Zentrum in Toronto hat einen Weg gefunden, diese Ehrung nachzuholen und den unschuldig Ermordeten und ihren Angehörigen ein würdiges Andenken zu bewahren. Im sogenannten Twinning Program entschließen sich Jugendliche, die vor ihrer Bar- oder Batmizwa stehen, diesen Moment mit einem Kind zu teilen, das ermordet wurde, bevor es selbst ins jüdische Leben gerufen wurde. Sie erforschen die Geschichte ihres »Zwillings«, seinen familiären Hintergrund, Geburtsort, Wohnort, Todestag, und versuchen, etwas über die Orts- und Zeitgeschichte zu erfahren. In aller Regel steht ihnen dabei ein sogenannter Mentor zur Seite, ein Überlebender des Holocaust, der mit dem »Zwilling« verwandt ist oder in einer engen persönlichen Beziehung zu ihm stand.
Die kleine Susie war die jüngste Cousine von Inge Spitz. Die heute 80-Jährige wollte die Erinnerung an sie wach halten und machte deshalb beim Twinning Program mit. Spitz selbst hatte Glück – sie kam mit einem Kindertransport nach Frankreich, wurde dort in einem Kloster versteckt und konnte sich kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs erst in die Schweiz und dann nach England retten. Für sie war die Arbeit in dem Programm eine persönlich sehr wichtige Erfahrung. »Die Familie der Batmizwa-Aspirantin hat mich wie ihre eigene Familie behandelt, das habe ich sehr genossen«, schwärmt Spitz. »Ich habe mich mit ihnen wohlgefühlt, und ich freue mich, dass meiner Susie auf diese Weise ein Andenken bewahrt worden ist.«
Am Ende der Recherchen steht ein schriftlicher Bericht, den die Bar- und Batmizwa-Kandidaten an ihrem großen Tag in der Synagoge der Familie und der Gemeinde vortragen. »Als ich das erste Mal von dem Projekt hörte, wurde mir bewusst, dass ich mir eine Menge Arbeit aufhalsen würde«, gibt ein Jugendlicher zu. »Aber ich wusste auch, dass die Erinnerung wichtig ist – und dass ich zu der letzten Generation derjenigen gehöre, die persönlich mit einem Überlebenden sprechen können.« Ein Mädchen erinnerte an die verstorbene beste Freundin ihrer Großmutter, die im Warschauer Ghetto Krankheit oder Hunger zum Opfer fiel. »So traurig ich auch bin, diese Geschichte zu erzählen, so bin ich doch glücklich, meine Großmutter heute bei mir zu haben.«
Das Holocaust Twinning Program in Toronto wurde im Jahr 2003 ins Leben gerufen, 141 Jugendliche haben bislang daran teilgenommen. Das Programm ist auf seine Weise einzigartig, ähnliche Projekte gibt es nur noch in Montreal und in Jerusalem. Die Idee dazu hatte ein Vater, der die Barmizwa seines Sohnes zu einem ganz besonderen Erlebnis machen wollte. »Das Außergewöhnliche an dem Projekt ist, dass mehrere Generationen daran beteiligt sind und zusammenarbeiten«, sagt Mary Siklos, die das Programm seit seiner Entstehung betreut. »Wir werden damit einerseits unserer Verantwortung gerecht, den Kindern etwas über die Geschichte beizubringen, damit so etwas nie wieder passieren kann. Zum anderen vermitteln wir Wissen, das den Holocaust-Leugnern und Geschichtsklitterern den Boden entzieht.«

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