Hildegard Hamm-Brücher

Eine aufrechte Dame

von Tobias Kaufmann

In vielen Würdigungen zu Hildegard Hamm-Brüchers 85. Geburtstag am 11. Mai taucht das Wort »streitbar« auf. Doch das wird der Politikerin und Publizistin nicht gerecht. »Aufrecht« wäre passender. Hamm-Brücher, 1921 in Essen geboren, wurde in der NS-Zeit politisch geprägt. Nach dem frühen Tod der Eltern wuchs sie mit ihren beiden Geschwistern einige Jahre bei ihrer jüdischen Großmutter auf. Als »Halbjüdin« mußte sie das Internat Salem verlassen, ihre Großmutter nahm sich das Leben, um der Verschleppung in ein KZ zu entgehen. Als Studentin gehörte die bekennende Christin Hamm-Brücher dem erweiterten Kreis der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« um die Geschwister Scholl an. »Für mich, die ich überlebte, hieß das und heißt das bis heute: Zu jeder Zeit, teil- und Anteil zu nehmen am Geschick unseres demokratischen Gemeinwesens und nicht wegzusehen, wenn dieses von demokratieschädlichen oder gar -feindlichen Entwicklungen neuerlich gefährdet wird«, sagte Hamm-Brücher im Jahr 2004.
1948 trat sie mit dieser Überzeugung in die FDP ein, machte Karriere in der Politik. Den Titel »Grande Dame« verdankt sie auch ihrer Erscheinung als Vertreterin eines aufgeklärten, aufrechten Bürgertums, das in Deutschland nicht gerade blüht. Das Eintreten für Benachteiligte gehört für Hamm-Brücher dazu. Als kürzlich der Ex-Weltbank-Chef James Wolfensohn mit dem Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet wurde, schimpfte die Gründerin der Heuss-Stiftung: »Wolfensohn ist ein Milliardär, der Gutes tut.« Mit den Zielen des Preises, Zivilcourage und Beispiele für das Allgemeinwohl zu fördern, habe das nichts zu tun.
Eine Liberale ist Hamm-Brücher im Wortsinne geblieben, auch als die FDP sich mit dem »Guidomobil« in die Beliebigkeit verabschiedete. Die »Spaßpartei«-Kampagnen der modernen FDP mochte sie nicht, und auch ein Anhängsel der Konservativen wollte sie nie sein. Schon 1982, als die Liberalen von der SPD zur CDU überliefen, kritisierte Hamm-Brücher ihre Partei im Bundestag scharf. 1998, als die FDP in Bayern mit einer Koalitionsaussage zugunsten der CSU in die Landtagswahl ging, trat sie kurzerhand aus ihrem Landesverband aus. Und vier Jahre später, während die FDP-Führung noch abwartete, ob der anti-israelische und zum Teil antisemitische Krawall des damaligen Vize-Parteichefs Möllemann Stimmen bei der Bundestagswahl bringen könnte, bezog Hamm-Brücher klar Stellung. »Ich schäme mich für meine Partei«, schrieb sie in einem offenen Brief an Parteichef Westerwelle – erst danach kam die interne Debatte über Möllemanns Kurs in Gang. Den damals angedrohten Parteiaustritt machte sie wenig später wahr.
Es ist nicht so, daß Hildegard Hamm-Brücher Streit sucht. Sie geht ihm nur nicht aus dem Weg. Auch nicht mit 85 Jahren. (mit dpa, epd)

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