Maxim Markov wirkt ein wenig stolz, als er die Bibliothek des Tora-Kollegs betritt: Lange Regale, in denen sich ein Band an den nächsten reiht, verbreiten eine ernsthafte Atmosphäre, die Sitzinseln dazwischen laden zum Studieren ein: »Wir haben hier auch Unterricht – auf Russisch, Deutsch, Englisch und Hebräisch«, berichtet der 22-Jährige. Er ist einer von sieben Schülern, die das jüdische Internat im Berliner Bezirk Wilmersdorf besuchen, das in der vergangenen Woche feierlich eingeweiht wurde.
Seit einem halben Jahr lebt er in dem Internat – ein Freund an der Jüdischen Oberschule hatte ihm von der Einrichtung erzählt, die zum Schuljahr 2008 ihre Türen öffnete, auch wenn die offizielle Einweihung erst jetzt stattfand. Ursprünglich stammt Maxim aus Moldawien, seine El-
tern seien nicht religiös. »Für mich ist die jüdische Religion aber nicht nur eine Tradition, sondern eine Lebensweise – ein Weg, dem ich folgen will«, erklärt er seine Motivation für den Besuch des Internats.
Ausbildung Genau diese Motivation ist es, die sich Chabad Lubawitsch von den Internatsbesuchern wünscht. Die orthodoxe Bewegung hat die Einrichtung gegründet, um die jungen Männer »auf das Leben in der modernen Welt vorzubereiten«, wie es in einem Werbefilm für das Tora-Kolleg heißt. Der kurze Film wird auch bei der feierlichen Eröffnung präsentiert und bietet dem Publikum, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Lala Süsskind, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde der Hauptstadt, einen Einblick in den Alltag am Internat: Er zeigt die Bücherei, den Computerraum, die Schüler beim gemeinsamen Studium und ihr Zu-
sammenleben. Ginge es nach dem Willen von Chabad-Rabbiner Yehuda Teichtal, blieben die Internatszöglinge am Ende ihrer Ausbildung in der Stadt: »Sie sollen in Berlin bleiben, hier ihren Beruf ausüben, Teil der Gesellschaft werden und stolz auf ihre Geschichte sein«, ruft Teichtal den Zuhörern bei der Eröffnung zu.
Der lautstarke Enthusiasmus, mit dem Teichtal spricht, sei typisch für den Rab-biner, erklärt Lala Süsskind in ihrem Grußwort: »Hätten wir die Chabadniks nicht in Berlin, hätten wir nicht diese Vielfalt.« Man sei zwar nicht immer einer Meinung, so die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlins, könne aber alles ausdiskutieren. Und Diskussionen scheint es auch künftig zu geben, denn das Tora-Kolleg ist nur ein Schritt von Chabad Lubawitsch: Langfris-tig soll hier in der Münsterschen Straße ein »Jüdischer Campus« entstehen, der nicht nur das Internat, sondern auch noch einen Kindergarten sowie eine Schule beherbergt. Entsprechende Pläne stellte Rabbiner Teichtal beim Neujahrsempfang im September vor. Bis 2013 soll das Zentrum fertig sein. Für Lala Süsskind Grund genug für einen Aufruf: »Wir sollten die gemeinsame Oberschule nicht verlieren«, fordert sie. Derzeit besuchen die Internatsbewohner am Vormittag die Gemeinde-Schule, bevor sie am Nachmittag weiteren Unterricht im Kolleg erhalten.
Bildungsangebot Mögliche Meinungsverschiedenheiten über das künftige jüdische Bildungsangebot in der Stadt klingen bei der Einweihung nur kurz an – sind je-
doch Grund genug für einen eindringlichen Appell Klaus Wowereits: »Es ist wichtig, dass man zusammenhält«, mahnt er in seiner Rede. Berlins Regierender Bürgermeis-ter freut sich über das neue Kolleg und über die in den vergangenen 20 Jahren in der Stadt entstandene neue Vitalität jüdischen Lebens – auch wenn Veränderungen nicht immer reibungslos für die Gemeinde verliefen. Das Wichtigste aber sei, dass jüdisches Leben in Berlin sichtbar gemacht werde, so Wowereit: »Es sollte nicht in Nischen oder hinter verschlossenen Türen stattfinden, die Häuser müssen offen sein.«
Solch ein offenes Haus soll auch das In-
ternat sein, betont Rabbiner Teichtal. Ein Symbol dafür ist eine ganz besondere Ak-
tion, die bei der Einweihung mit Federkiel und Tinte in Angriff genommen wird: das Schreiben einer Torarolle. Jeder sei eingeladen, das Internat zu besuchen und einen der 304.805 Buchstaben auf das Pergament zu bringen. Den Anfang machen Rab-
biner und Schüler bei der Eröffnungszeremonie – so etwa Leonid Fuchs. Umringt von Fotografen und Kameramännern tritt er ans Pult und schreibt einen Buchstaben nieder. Nicht nur deswegen ist dies ein ganz besonderer Tag für den 21-Jährigen. »Seit heute bin ich offiziell am Kolleg«, berichtet er. Er habe das Internat vorab mehrfach zum Kennenlernen besucht, nun freut er sich darauf, hier zu wohnen. Der gebürtige Ukrainer lebte vorher in Augsburg: »Da habe ich mich wie in einem Dorf gefühlt, Berlin bietet da viel mehr Möglichkeiten.« Wie bei vielen der aus Osteuropa stammenden Schüler sei auch sein Elternhaus nicht sehr religiös gewesen – nun klärt er seine Eltern über die jüdischen Ge-
setze auf, wenn er sie besucht. Am Tora-Kolleg gefällt Leonid das Gemeinschaftsgefühl. Dennoch werde der Alltag nicht leicht: Neben den acht Stunden Unterricht an der Jüdischen Oberschule stünden zwei bis drei Stunden zusätzlicher Unterricht im Internat an, dazu Hausaufgaben und Gebete: »Dafür muss man einen großen Willen haben und zielbewusst sein«, weiß er.
Pläne »Die Schüler müssen ein starkes Interesse an Religion haben, sonst funktioniert es nicht«, sagt auch Kolleg-Koordinator Gedalya Palamarchuk. Er betont, dass die Erfahrungen aus dem ersten Jahr sehr gut seien – so gut, dass es für das kommende Jahr Pläne für ein weiteres Haus gebe: »Wir denken über ein Mädchen-Internat nach«, verrät Palamarchuk.