von Torsten Haselbauer
Es sind immer diese zwei Geschichten, die Gal Pelek so gerne erzählt. Der Leiter der Sportabteilung des »Peres Centers for Peace« in Tel Aviv nimmt sich dafür viel Zeit. Er rutscht tief und bequem in seinen Schreibtischstuhl und fängt an. Die erste Geschichte geht so: Avi ist zehn Jahre alt. Er wohnt in der südisraelischen Stadt Sderot. Trotz ständigen Raketenbeschusses aus Gasa versucht Avi ein möglichst normales Leben zu führen. Avi geht zur Schule und spielt unheimlich gerne Fußball. Seit drei Jahren ist Avis Schule Teil des »Twinned Peace Sport Schools Projects« des Peres-Friedenszentrums. Es führt Avis Mannschaft alle zwei Wochen mit einer Schülermannschaft aus dem Gasastreifen zu einem Team zusammen. Auf beiden Seiten der Grenze wird dafür, das gemeinsame Spiel, eifrig trainiert. Es ist jedes Mal ein besonderes Match, ein echter sportlicher Höhepunkt, weil es mehr als nur Sport ist, und das spüren die israelisch-palästinensischen Nachwuchssportler ganz genau. Beim ersten Treffen war Avi ziemlich überrascht. Vor allem darüber, wie seine neuen Mitspieler, die da mit einem kleinen Bus über die Grenze kamen, überhaupt aussehen. Avi glaubte bisher nur das, was er oft im israelischen Fernsehen zu sehen und von vielen seiner Bekannten und Freunden auch zu hören bekam. Dass die Kids aus dem Gasastreifen sich geben wie kleine Bin Ladens und alle miteinander aussehen wie grimmige Mini-Terroristen mit einer großen Waffe in der Hand. »Dass es aber ganz normale Kinder sind, das wurde Avi erst durch den Fußball klar«, berichtet Gal Pelek.
Die zweite Geschichte geht ähnlich. Sie spielt nur auf der anderen Seite. Muhamad ist zwölf Jahre alt und wohnt in EsSawiya, eine kleine palästinensische Siedlung nahe bei Jerusalem. Muhamads Vater wurde vor zwei Jahren von israelischen Grenzpolizisten verhaftet und ist seitdem im Gefängnis. Muhamad hasste seitdem alle Israelis und überhaupt alles, was aus Israel kommt. Auch er versucht ein möglichst normales Leben zu führen und spielt gerne Fußball. Deshalb hat ihn seine Mutter vor einem Jahr in der Schulmannschaft vom EsSawiya angemeldet. Die ist auch Mitglied des Sportprojektes des Peres Centers. Aber das hat die Mutter ihrem Sohn damals noch nicht verraten. Der Rest der Geschichte muss kaum noch weitererzählt werden. Muhamad spielte, nach anfänglichem Zögern, gemeinsam in einem Team mit israelischen Schülern jenseits der Grenze. Dort hat er sogar Freunde gefunden. »Sie haben meinen Sohn gerettet. Wer weiß, was aus ihm geworden wäre«, das hat erst kürzlich die Mutter von Muhamad an Gal Pelek nach Tel Aviv ge-
schrieben.
Seit dem Jahr 2002 führt das »Peres Center for Peace«, eine von der Regierung unabhängige und 1996 gegründete NichtRegierungsorganisation (NGO), sein Sportprogramm durch. Mittlerweile beteiligen sich 34 Schulen an diesem Projekt, das arabische und israelische Nachwuchssportlerinnen und Sportler zusammenbringt. Rund 2400 Schüler aus vornehmlich grenznahen Gebieten in Israel und den Palästinensergebieten spielen alle zwei Wochen in Mixed-Teams ge-
meinsam viel Fußball und manchmal Basketball. »Das ist sicher nicht einfach und bedarf einer langen wie intensiven Vorbereitung«, das weiß der 32-jährige Pelek nur zu gut. Auf beiden Seiten herrsche vor dem ersten Kick viel Nervosität, Angst und große Unsicherheit, schildert der studierte Konfliktmanager die Ausgangsituation. Aber das ändert sich schnell und nachhaltig. Immer dann, wenn ein Ball ins Spiel kommt. »Fußball ist unser Eisbrecher«, er-
klärt Pelek.
Der Sport hat die verfahrenen Verhältnisse auf beiden Seiten ein wenig umgedreht. »Viele Kids haben durch die für sie ausnahmslos positive Sporterfahrung ihre Eltern beeinflusst und nicht wie sonst umgekehrt«, erklärt Pelek. Palästinensische Fußballer nahmen nach einiger Zeit sogar ihre Eltern mit über die Grenze. Die treffen sich dann mit den Eltern der israelischen Mitspieler, setzen sich an den Spielfeldrand und reden miteinander. »Da-
bei hatten viele Eltern anfänglich noch große Angst, dass ihre Kids nicht Fußball spielen, sondern eine politische Gehirnwäsche bekommen. Aber nach den ersten Spielen war auch das Vorurteil weg«, erinnert sich Pelek.
Ein Grundproblem bleibt aber weiterhin bestehen. Die Sportteams treffen sich immer nur in Schulen auf der israelischen Seite. Es geht nicht anders. Israelis ist es de facto verboten, auf die andere Seite zu reisen. Oder es wird ihnen sehr, sehr schwer gemacht. »Wir können für israelische Sportler in Palästina auch nicht die Sicherheit garantieren, die sie brauchen«, so Pelek. Deshalb müssen die arabischen Nachwuchssportler immer zum »Team-building« nach Israel einreisen. Dafür hat das Peres Center extra einen Visabeauftragten angestellt. Denn jeder Besuch eines Sportlers aus Palästina muss bei der israelischen Armee zunächst angemeldet und dann genehmigt werden.
Nach einer Zeit des ständigen Ausbaus und der Wertschätzung auf beiden Seiten sind die Sportprojekte seit dem Gasakrieg nun in eine Krise geraten. Viele Aktivitäten, vor allem mit Schulen im Gasastreifen, sind auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. »Es sind wohl wieder die Eltern, vor allem die Väter, die das Sagen haben. Und die wollen ein Zusammentreffen auf den Sportplätzen verhindern«, erklärt Pelek. Aktuell sei ein normales »gemeinsames Spielen«, zumindest im grenznahen Gebiet zum Gasastreifen, nicht mehr möglich, so Pelek. Woanders geht es noch.
Die Organisation ist jedoch überzeugt, dass sie in naher Zukunft ihre Projekte wieder überall aktivieren kann, also auch den sportlichen Austausch mit Gasa. Derzeit entwickeln Trainer in Israel gemeinsam mit einem arabischen Partner neue Konzepte. Die bestehenden, gefestigten Teams sollen fortan in »neutrale«, grenzfernere Gegenden in Israel verlegt werden. Die Kids sind dafür, das hat Pelek schon vernommen. Von beiden Seiten.