von Matilde Jordanova-Duda
Zoya Khvorostyan stellt Frühstücksreste und schmutziges Geschirr auf einen Wagen. Die Kinder laufen zu ihren Spielsachen. Die Erzieherinnen schmücken die Räume im Wohlfahrtszentrum der Synagogen-Gemeinde Köln zum Neujahrsfest. Zoya Khvorostyan sortiert, was vom Essen übrig geblieben ist. »Die Milchtüte gehört auf das Regal, das ist für Milchiges«, korrigiert sie eine Kollegin. Zoya stellt ihre Fragen auf Russisch, die Kollegin antwortet konsequent auf Deutsch. Dann schieben beide das Wägelchen hinaus.
»Ich bin begeistert!« Kindergartenleiterin Elizabeth Frey-Salz nutzt die Gelegenheit, ihre neue Hauswirtschaftshilfe zu loben: »So nett, so hilfsbereit. Aber die Spra- che! Wir müssen ihr alles mit Händen und Füßen erklären. Das dauert und manchmal muss es bei uns eben zack-zack gehen!«
Dass die Sprache ihr größtes Handicap ist, weiß die gelernte Buchhalterin Zoya Khvorostyan. Der sechsmonatige Deutschkurs hatte gerade gereicht, einiges im Alltag verstehen zu können. Um Dokumente zu lesen, reichte es noch lange nicht. So hat die gebürtige Ukrainerin seit 2003 nicht in ihrem Beruf gearbeitet, sondern als Minijobberin Senioren betreut. Doch nun habe sie die Arbeitsagentur vor die Wahl gestellt: entweder müsse sie noch einen Sprachkurs absolvieren oder einen Ein-Euro-Job annehmen, erzählt sie. Sie hat sich für die zweite Variante entschieden, zumal die Synagogen-Gemeinde ihren Ein-Euro-Jobbern einmal wöchentlich einen Deutsch- sowie einen Computerkurs anbietet. Zoya Khvorostyan hat sich zu beiden angemeldet.
Zusammen mit der Zeit, die sie mit den Kursen verbringt, kommt sie auf eine volle Arbeitswoche. Viel Geld bringe das nicht, leider. Die 54-Jährige möchte ab und an auch mal neue Schuhe kaufen oder zum Friseur gehen. Arbeit scheue sie nicht, die sei gut und notwendig. Zoya Khvorostyan hat gebeten, sie in den Kindergarten einzuteilen. Kinder mag sie gerne. Und noch ein Grund: »Wenn die Erzieherinnen etwas erklären, höre ich genau zu und versuche, mir die Worte einzuprägen. So lerne ich mit den Kleinen zusammen«, sagt sei und sammelt Magnetbuchstaben auf.
Seit drei Jahren schreibt die Synagogen-Gemeinde sogenannte Integrationsjobs aus. Es sind Aushilfsstellen im Kindergarten und im Elternheim. Es gibt Stellen im Sicherheitsdienst, am Vertrauenstelefon, auf dem Friedhof oder im Begegnungszentrum. Insgesamt 15 Angebote, die alle sechs Monate neu besetzt werden müssen. Ohne die preiswerten Einsatzkräfte würden die Angestellten ihre Aufgaben »nicht so perfekt« erledigen können, sagt die Koordinatorin Dana Kigel. Viele der Ein-Euro-Jobber sind auch Gemeindemitglieder. Sie seien hoch motiviert, so Kigel. Leider gelinge es nicht oft, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu überführen. Immerhin wurden zwei Frauen in der Gemeinde als Teilzeitkräfte weiterbeschäftigt. Dabei sind die meisten Ein-Euro-Jobber Akademiker: Ingenieure, Ärzte, Lehrer. Neben mangelnden Deutschkenntnissen sei ihr Alter ein Vermittlungshemmnis.
Für Stanislav Yelinsky ist es der x-ste Ein-Euro-Job nach befristeten Verträgen und ABM-Maßnahmen. In seiner Heimat sei er Zahntechniker und Bürokaufmann gewesen, erzählt der 48-Jährige. Hier habe er sich in der Deutschen Angestelltenakademie als Sachbearbeiter ausbilden lassen. Doch eine feste Stelle habe er bisher nicht gefunden: Zu alt und keine Berufserfahrung. »Mein Schicksal ist wohl, immer solche Billigjobs machen zu müssen«, sagt Yelinsky. Vom Job in der Gemeinde habe er im Mitteilungsblatt gelesen und sofort angerufen und alles geregelt.
Nun sitzt er in der Bibliothek und katalogisiert den Bestand am Computer. Gerade ist er bei den russischen Übersetzungen des Flavius Josephus angekommen. »Es gibt hier an die 7.000 Bände und es kommen täglich neue«, erzählt Yelinsky. Die Bibliothek werde rege genutzt, an manchen Tagen würden mehrere Hundert Bücher ausgeliehen. Doch der alte Katalog müsse auf Excel umgestellt werden. »Dann kann man mithilfe der Filterfunktion sehr zügig das Buch ausfindig machen«, sagt er stolz. Das würde die Arbeit erleichtern – und den Lesern viel Zeit sparen.
Für Stanislav Yelinsky ist es eine Gelegenheit, in Sachen Computer fit zu bleiben. Das Geld sei auch nicht zu verachten, so wenig es sei, aber immerhin zusätzlich zum Hartz-IV-Bezug. »Meine Frau und ich brauchen nicht viel. Aber wir haben ein Kind, das in die Schule geht: Bücher, Hefte, Fotos – etwas ist immer zu zahlen.« Und ein neues Fahrrad möchte es auch. Mit dem Verdienst kann Stanislav Yelinsky ihm eines schenken: »Es soll nicht wie ein Außenseiter aufwachsen.«
Genauso wichtig ist dem Aushilfsbibliothekar allerdings, nicht zu Hause herumzusitzen. »Das kann man ein, zwei Tage, vielleicht ein Monat lang machen – aber dann verkümmert der Mensch«, sagt er. Hier hofft er, neue Leute kennenzulernen und wer weiß, vielleicht bringe ihn das auf neue Ideen für die Zukunft.
Unter die Leute kommen, das will auch Albina Gorgolia. In weißer Schürze und mit Häubchen spült sie gut gelaunt Thermoskannen aus. Drei Jahre hatte sie in einem Restaurant ausgeholfen, zwar für wenige Stunden wöchentlich, aber immer auf Abruf bereit. »Küchenarbeit ist ja wie zu Hause«, sagt die 51-Jährige, deshalb habe sie sich um diesen Job bei der Gemeinde beworben. Sie hackt Petersilie, trocknet Geschirr ab, eben alles, was in einer Großküche so anfällt.
Aber am liebsten würde sie wie früher in der Ukraine als Verkäuferin arbeiten: »Meine Welt ist es, Leute zu bedienen.« In den neun Jahren, die sie in Deutschland verbracht hat, habe sie sich bei Discountern wie Aldi, Lidl oder Plus beworben. Die letzte Absage kam erst vor Kurzem. »Wir wünschen Ihnen viel Glück bei der weiteren Arbeitssuche.« Sie wird sich weiter bewerben. Was nach den sechs Monaten im Kölner Elternheim sein wird, weiß sie nicht. »Es kommt, wie es kommt«, sagt sie, und hievt Behälter mit Gemüsesuppe auf den Wagen, der das Mittagessen nach oben bringt. Ihr Enkelkind wird sicherlich auch davon kosten: Es spielt oben im Kindergarten.