von Marina Maisel
In der Kristallkugel schweben kleine Herzchen zu Boden. Marianne Rössel ist verblüfft, entdeckt sie doch hinter dem Herzenregen den Kindergarten in der Möhl- straße. Henny Fischbaum, deren drei Kinder den Kindergarten besuchen, bedankt sich mit diesem Geschenk bei der letzten Schabbatfeier in der Möhlstraße bei Marianne Rössel. Doch nicht nur die scheidende Kindergartenleiterin freut sich über diese Schneekugel der etwas anderen Art. Jedes Kind, alle Betreuer, und die Eltern, die seit Jahren den Kindergarten unterstützen, erhalten eine solche Kugel. Sie soll für sie mehr als nur eine symbolische Bedeutung haben. Mit ihr halten die Beschenkten ein Stück lebendige Erinnerung an eine schöne und bewegende Zeit in den Händen.
Die Freude darüber steht allen ins Gesicht geschrieben. Ganz besonders freut sich Henny Fischbaum, die diese Idee nicht nur realisiert, sondern auch finanziert hat. Für Familie Fischbaum, deren drei älteste Kinder – Chiara, Daniel und Alan – diesen jüdischen Kindergarten besuchten, ist es selbstverständlich, sich so zu engagieren.
Talia Presser, die Vorsitzende des Elternbeirats, bedankt sich bei Henny Fischbaum für die 500 schönen Geschenke und kommentiert: »Familie Fischbaum gehört zu denen, die einfach sponsern, helfen und unterstützen, ohne besonders genannt werden zu wollen.«
Marianne Rössel fällt der Abschied schwer. Zwanzig Jahre in der Sinai-Schule und ebenso viele im Kindergarten verbinden die Leiterin des Kindergartens fest mit diesem Haus. »Wir waren hier daheim!«, hatte sie in einem Gedicht zum Abschiedsfest geschrieben. Nun zieht sie mit den Kindern und dem ganzen Team ins neue Gemeindezentrum am Jakobsplatz um. Für sie werden es nur ein paar Monate sein, denn Ende des Jahres geht sie in Rente.
Die Erziehungskommission der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) und der Elternbeirat des Kindergartens haben Marianne Rössel für ihr großes Engagement ihren besonderen Dank ausgesprochen. Ihre Erziehungsprinzipien werden sicher über diesen Tag hinaus weiter leben. »Alle Eltern auf dieser Welt wollen nur das Beste für ihre Kinder. Das hat uns alle Jahre über geleitet«, sagt Marianne Rössel.
Schon mit drei Jahren hören die Kinder erste jüdische Geschichten und werden an den wöchentlichen Schabbat herangeführt. Was hier selbstverständlich wird, nehmen die Kinder später mit in die Schule. Marianne Rössel ist es besonders wichtig, »die Kinder auch weiterhin in jüdischen Traditionen aufwachsen zu lassen, und dabei nicht zu vergessen dass es Kinder dieser Stadt sind.«
Einen besonderen Dank richtet Marianne Rössel an Rabbiner Israel Diskin. Fünf seiner Kinder haben den Kindergarten in der Möhlstraße besucht. »Ich habe ganz besondere Gefühle für dieses Haus«, bekennt der Rabbiner kurz vor der Schabbat-Zeremonie. Die Kinder kennen Rabbiner Diskin gut. Er besucht jeden Montag die Gruppen. Nach einem kurzen Gebet und einer Geschichte über Tora oder Mitzwot bekommt jedes Kind von ihm eine kleine Münze, damit es selbst erleben kann, wie es ist, eine Mizwa zu machen, eine Spende zu geben. »Die Kinder sollen lernen, was es bedeutet, zu geben«, betont der Rabbiner.
Die Montagsgeschichten des Rabbiners finden ihren Weg über die Kinder in die Familien und leben dort weiter. Heute wundert sich der »Rabbi vom Kindergarten«, wie ihn einmal ein Kind nannte, wenn er junge Menschen auf die Bat Mizwa vorbereitet, die er doch »gerade erst« im Kindergarten unterrichtet hat. So wächst eine neue jüdische Generation heran, die ihre ersten religiösen Schritte in der Möhlstraße gemacht hat. Mit einem »lachenden und einem weinenden Auge«, sagt der langjährige Vorsitzende der Erziehungskommission der IKG, Nathan Kalmanowicz, »nehmen wir Abschied von diesem Gebäude, das uns allen ans Herz gewachsen ist.«
Ein Grundstück, das nach dem Krieg vom Freistaat Bayern den jüdischen Organisationen zur Verfügung gestellt wurde, diente insgesamt 40 Jahre als jüdische Sinai-Schule und jüdischer Kindergarten. Die Möhlstraße ist darum ein Stück Gemeindegeschichte. 21 Jahre lang war Kalmanowicz für Kindergarten und Schule zuständig. »Das war eine schöne Zeit«, erinnert er sich, der selbst seine eigenen fünf Kinder durch beide Institutionen geführt hat.
Mit Stolz denkt Nathan Kalmanowicz daran, als Kindergarten und Schule Besuch vom Erziehungsdepartment der Zionistischen Weltorganisation Jerusalem bekam, die »unsere Arbeit sehr hoch bewertet haben«. Als der »tragenden Säule« des Kindergartens spricht das Mitglied des Vorstandes der langjährigen Leiterin, Marianne Rössel, seinen besonderen Dank aus. Mit dem Umzug in die neuen Räume am Jakobsplatz verbindet Kalmanowicz vor allem einen Wunsch, dass die Kinderzahl wächst. »Wir ziehen in keine schlechtere Lage um. Der Kindergarten in der Stadtmitte wird hervorragend ausgestaltet, daran gibt es keinen Zweifel. Dieses Potenzial ist vorhanden und muss ausgeschöpft werden.«, sagt Kalmanowicz.
»Wenn man den Wohnort ändert, verändert sich das Glück«, übersetzt Rabbiner Langnas aus dem Talmud und verspricht Kindern und Eltern: »In der Möhlstrasse war das Masel immer gut, am Jakobsplatz soll es noch besser werden.«
Auch die Familie Fischbaum freut sich auf die neuen Räume des Kindergartens im Gemeindezentrum. Nicht ohne Grund, denn ihr viertes Kind, Julian, wird ab September in den jüdischen Kindergarten am Jakobsplatz gehen.