»Mehr als 3000 Jahre nach dem Ereignis gedenken wir jedes Jahr zu Pessach der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei. Aber bereits 64 Jahre nach der Befreiung der Überlebenden aus den KZs wird das Gedenken an die Millionen Opfer der Schoa weniger.« Mit diesen Worten be- klagt Max Mannheimer das Überschneiden wichtiger Termine. »Das ist mir unverständlich«, sagte der Vorsitzende der La- gergemeinschaft Dachau sowie Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees. Der Terminkalender des fast 90-Jährigen ist randvoll – Mannheimer reist von einem Zeitzeugengespräch zum nächsten, oft Hunderte von Kilometer weit.
Solche Zeugen werden weniger. Doch dies darf, das unterstreicht auch Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch, nicht zum Vergessen führen. Terminabstimmungen sind einfach. Viel wichtiger sei, dass die Nachgeborenen ein Gefühl dafür entwickeln, dass das Gedenken an die Schoa keine Pflichtübung, sondern ein Teil der jüdischen Existenz ist.
»Mein Mann Isak ist am 28. April befreit worden, ich am 8. Mai«, erzählt Rosa Wasserstein. Auch ihr Mann kämpfte als Zeitzeuge gegen das Vergessen, so lange er konnte. Der Gang nach Dachau ist für beide Selbstverständlichkeit. Die Überlebenden verlieren die Leidenszeit unter den Nazi-Schergen keinen Tag aus dem Ge- dächtnis. Selbst erste Frühlingsblumen und Vogelgezwitscher wecken Erinnerungen an den Todesmarsch.
Die folgenden Generationen haben das Glück, nicht permanent mit diesem Leiden konfrontiert zu sein. Ein paar Termine aber sollten sie fest in ihren Kalender einprogrammieren: Der 9. November gehört dazu, der erste Maisonntag, an dem die Welt in Dachau der Opfer gedenkt. Zusammen mit dem Jom Haschoa sollte auch die Jugend an diesen Tagen das Leid der Ah- nen in respektvoller Erinnerung teilen – nicht nur für ein verpflichtendes »Nie wieder«, sondern weil es ein Stück des eigenen Lebens ist. Miryam Gümbel
Gedenken