von Sabine Brandes
Jeden Freitag dasselbe Bild: Auf der Schnellstraße 2 entlang des Mittelmeeres stehen die Renaults, Mazdas und Fiats dicht an dicht und schieben sich langsam gen Galiläa und Golan. Oft geht es nicht schneller voran als im Schritttempo. Viele nehmen es ohne Murren hin, gerade jetzt, wo die ersten richtig warmen Tage beginnen. Raus aus dem hektischen Zentrum, eintauchen in die Schönheit der Natur des Nordens. So mögen es die Wochenendtouristen empfinden, viele Bewohner nördlicher Orte indes wollen derzeit nur noch eins: weg.
Lange dachte man, die globale Finanz- und Wirtschaftskrise werde Israel verschonen. Gepriesen wurde die Standhaftigkeit des kleinen Marktes in Nahost. Doch nun kommt das bittere Erwachen. Mit voller Wucht schlägt der ökonomische Niedergang ein, sogar das Wort »Rezension« wird nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Nach jahrelangem Wachstum schrumpfte die Wirtschaft im letzten Quartal von 2008 um einen halben Prozentpunkt, im ersten Viertel dieses Jahres sieht es nicht besser aus. Wirtschaftsmi-
nister Roni Bar-On verkündete, dass das Haushaltsdefizit auf mehrere Milliarden Schekel anschwellen könne, was die Flexibilität des Marktes ohne Zweifel einschränken werde.
Besonders hart trifft die Lage die Menschen im Norden Israels. Ohnehin noch vom Libanonkrieg des Sommers 2006 an-
geschlagen, sehen sich die Leute dort im-
mer häufiger um ihre Lebensgrundlage gebracht. Fabriken schließen oder stehen kurz davor, Restaurants und Cafés verschwinden von heute auf morgen von der Bildfläche, Supermärkte leeren ihre Regale, weil ohnehin kaum noch jemand zum Einkauf kommt. Ein Unternehmen, das in den vergangenen Wochen ohne Unterlass in den Schlagzeilen war, ist der Lebensmittelproduzent Pri Galil in Hatzor Haglilit in Obergaliläa. Vom Aus des Arbeitgebers bedroht, brechen Menschen weinend auf der Straße zusammen, manche arbeiten seit 30 Jahren in derselben Abteilung. Andere zünden aus Wut und Verzweiflung Reifen an und halten immer wieder Plakate hoch: »Tut uns das nicht an!« Bilder, die an Opel in Deutschland erinnern.
Die letzten heftigen Winterregen haben die Umgebung in ein Blütenmeer verwandelt, überall leuchten rote und lilafarbene Anemonen. Die Menschen im Ort kann das nicht verzücken, durchweg niedergeschlagen ist die Stimmung. Zwar können die Arbeiter etwas aufatmen, der Supermarkt-Riese »Chetzi Chinam« versprach in letzter Sekunde, die Schulden sowie das gesamte Personal zu übernehmen und die Produktion von Pri Galil am Leben zu halten. Doch die Angst steckt den Menschen in den Knochen: »Hält der Deal wirklich oder werden wir nur hingehalten?« Das Vertrauen ist dahin. Nur wenige hundert Meter weiter ist die Stimmung noch tiefer gesunken. Hier kommt kein Handel mehr zustande. Der Supermarkt »Birkat Ha-
schem«, der fast ausschließlich orthodoxe Kunden hatte, ist nicht viel mehr als ein Gebäudeskelett. Nach der Pleite stürmten verärgerte Gläubiger und Angestellte, die seit Monaten kein Geld gesehen hatten, den Laden und schleppten heraus, was nicht niet- und nagelfest war. Sogar Türen und Lampen ließen sie mitgehen.
Eigentlich ist Israel berühmt für seine Restaurantvielfalt. Mehr als 7.200 gibt es im ganzen Land, kaum ein Gourmet, der da nicht auf seine Kosten kommen würde. Doch Luxus können sich die Menschen in diesen Zeiten nicht mehr leisten. »Ausgehen und das Leben genießen ist das Erste, woran die Leute sparen«, sagt der Ge-
schäftsführer eines kleinen, feinen Lokals in Beit Schearim, und bittet darum, den Namen nicht zu nennen, damit er nicht noch mehr Kunden verliert. Er erlebt es jeden Tag: »Wir haben die Preise vieler Ge-
richte um ein Drittel gesenkt und trotzdem kommen immer weniger Gäste. Diejenigen, die einkehren, sind sparsamer ge-
worden, bestellen keinen Wein mehr und teilen sich Desserts. Außerdem verlangen mindestens fünf Mal so viele Leute Leitungswasser, denn das kostet sie ja nichts.«
Einer der Hauptarbeitgeber des Nachbarörtchens Ramat Ischai ist die Geflügel-farm »Off Haemek«. Hier mussten vor we-
nigen Tagen 200 Mitarbeiter ihre Papiere abholen.
Besonders hart vom Wirtschaftsdesas-ter getroffen ist die Lebensmittelbranche. In Galiläa und Haifa stieg die Zahl der Schließungen bei Einzelhändlern im Be-
reich Speisen und Getränke im Vergleich zu Mitte 2008 um 55 Prozent.
Schalom Meimon spürte das Unheil schon lange. Er lebt in Migdal Haemek am nördlichen Zipfel des Jisrael-Tales. Wohlhabend war das Örtchen nie, an den Straßen reiht sich ein Billigladen an den nächsten, hier und da eine Falaffelbude, in denen ein Pita mit Kichererbsenbällchen schon für etwas mehr als einen Euro zu haben ist. Die Gemeinde ist geprägt von Immigranten, viele aus der Ukraine und Äthiopien. Die Gebäude brauchen dringend eine Grundrenovierung, doch dafür hat hier niemand das nötige Geld. Erst vor zwei Monaten sind 200 Mitarbeiter vom Elek-
tronikhersteller »Flextronics« entlassen worden. »Wir hatten nie viel, aber es reichte gerade so. Jetzt aber wird es immer schlimmer, die Leute verlieren ihre Jobs, ein Laden nach dem anderen macht zu«, klagt Meimon, der seine Arbeit in einem Supermarkt zwar noch hat, jedoch in der Furcht lebt, jeder Tag könne der letzte sein, »es ist ein sehr trauriges Bild«.
Die Besucher aus Tel Aviv und Umgebung machen sich am Samstagabend wieder auf den Heimweg, schleppend bewegt sich die Blechlawine nun in die andere Richtung. Viele der Familien haben ein Picknick dabei, statt sich die Bäuche in den Lokalen des Nordens zu füllen.
Die guten Zeiten scheinen auch im Zentrum in Gefahr zu sein. Nachdem der Hightech-Riese »Comverse Technology« verkündete, Hunderte von Leuten zu entlassen, sind viele gezwungen, ihre rosafarbene Brille abzunehmen und der Realität ins Auge zu blicken: die große Krise ist da.