von Tibor Krausz
Aus der Hotellounge im obersten Stockwerk des Intercontinental in Phnom Penh hat er seine Kommandozentrale gemacht. Hier tüftelt Bernie Krisher an den Einzelheiten seines neuesten Wohltätigkeitsprojekts für die ärmsten Kinder Kambodschas. Doch die Dinge laufen alles andere als gut. Ein Assistent informiert ihn, wie sture städtische Bürokraten die Erteilung einer Genehmigung für den Bau einer Schule mit immer neuen Tricks hinauszögern.
Krisher platzt der Kragen. »Ich werde mich mit diesen Paragrafenreitern auf keine Spielchen einlassen«, faucht »Bernie the Pusher«. Der Spitzname wurde dem gebürtigen Brooklyner wegen seiner »Unmöglich gibt’s nicht, schlappmachen gilt nicht«-Chuzpe verpasst. »Ich werde gegen das Gesetz verstoßen und auf jeden Fall bauen, denn es gibt ein höheres Gesetz: den Menschen helfen. Wenn es sein muss, rufe ich (König) Sihanouk und (Premierminister) Hun Sen an«, droht er.
Krisher muss nicht anrufen. Er wird angerufen und in den Palast gebeten. Er nimmt als Ehrengast an einem Mittagessen des Vaters des Königs, Norodom Sihanouk, teil – ein alter Freund. Vor den Hoffotografen und Kamerateams des kambodschanischen Fernsehens bedankt sich der kleine, zierliche alte Monarch bei Krisher für seine »unschätzbare Freundschaft für Kambodscha« und die zahllosen Hilfsprojekte. Dann verleiht Sihanouk dem US-amerikanischen Juden die höchste Auszeichnung Kambodschas: den Orden eines Grand Officier de l’Ordre Royal du Cambodge.
Die neue Schule wird planmäßig gebaut. Das Bright-Future-Kids-Haus, eine halbe Stunde von Phnom Penh entfernt, hat luftige Klassenzimmer und ein Wohnheim für die Schüler. Das Haus liegt direkt neben einem anderen von Krisher ins Leben gerufenen Projekt: einem Waisenheim für Kinder, deren Eltern an Aids gestorben sind – die Immunschwächekrankheit hat in Kambodscha zahllose Opfer gefordert.
Das Angebot von Bright Future Kids richtet sich an begabte, aber unterprivilegierte Schüler der Sekundarstufe auch aus weit entfernten Provinzen. Der Unterricht orientiert sich am kambodschanischen Lehrplan. Darüber hinaus lernen die zwei Dutzend Teilnehmer Englisch und können Computerkentnisse erwerben.
Krisher setzt auf Bildung. Das sei das wichtigste Instrument im Kampf, die Armut und das Trauma des Genozids zu über-
winden. Krisher ist 76 Jahre alt und wurde in Deutschland geboren. Als Holocaust-Flüchtling kann er sich, wie er sagt, in die Situation des schwer geprüften Landes einfühlen. »Die meisten Probleme erwachsen aus Hoffnungslosigkeit und Unwissenheit oder werden durch sie verschlimmert.«
Während der Schreckensherrschaft der Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 starben annähernd zwei Millionen Menschen auf den Killing Fields Kambodschas. Intellektuelle, einschließlich Lehrer und Ärzte, wurden systematisch ermordet, wodurch die Entwicklungschancen des Landes auf Generationen hinaus auf Null reduziert wurden. 30 Jahre später ist Kambodscha noch immer eines der ärmsten Länder Asiens. Die meisten Einwohner ernähren sich mühsam mit ländlicher Subsistenzwirtschaft, verdienen ihren Lebensunterhalt durch Schwerstarbeit oder schuften in Billiglohnfabriken.
Nhou Chorm möchte »Lehrerin oder Ärztin« werden. Die 16-Jährige lebt in Krishers Bright-Future-Kids-Haus und stammt aus der Provinz Rattanakiri in der von Bergstämmen bewohnten nordöstlichen Region des Landes, an der Grenze zu Laos. Die Alphabetisierungsrate liegt dort bei nur 25 Prozent. Ihre Eltern trotzen der harten Erde ein karges Leben ab. Nhou ist das einzige Kind, das die Schule besucht. Das Lernen begann für Nhou an einer der vielen lokalen Schulen, die Krisher im Rahmen der von ihm gegründeten Initiative »Put a Roof Over Their Head« errichten ließ. Den Grundstein für das Projekt legte er vor knapp einem Jahrzehnt, als er die Provinzen bereiste und erlebte, wie die Kinder in Gruppen lernten. Im Freien, unter Banyan-Feigenbäumen unterrichteten die älteren Kinder die jüngeren.
Krisher, ehemaliger Newsweek-Korrespondent für Südostasien und Herausgeber der Wochenzeitung The Cambodia Daily, hat seither mehr als 400 Schulen im Land bauen lassen. Preis: 25.000 Dollar. Sie werden jeweils durch einen Spender aus Japan oder den Vereinigten Staaten finanziert. Dank des »Motoman«-Systems, das Dörfer über ein Netzwerk von Satelliten und auf Motorrädern transportierten mobile Einheiten miteinander verbindet, haben viele der Schulen sogar Internetanschluss.
In Zusammenarbeit mit einem Programm der Harvard Medical School können die Bewohner weit entfernter Dörfer, die keinen Zugang zu Versorgungseinrichtungen haben, via Satellit von modernen Diagnosetechniken und ärztlicher Beratung profitieren. In den winzigen Dörfern aus strohgedeckten Bambushütten ohne fließendes Wasser und Strom finden immer mehr von Krishers Schützlingen mit Hilfe von gespendeten Computern, die mit Solarmodulen betrieben werden, Anschluss an das World Wide Web.
Erfüllt von der Aussicht, die ihr das Lernen bietet, erzählt Nhou in ihrem stockenden, frisch gelernten Englisch, wie sie bis spät in die Nacht beim Schein von handgemachten Harzkerzen las, nachdem sie den ganzen Tag mit ihrer Familie auf dem Feld gearbeitet hatte. »Selbst die ärmsten Kinder in den benachteiligten Gegenden von New York oder Tel Aviv haben weit bessere Chancen als die gescheitesten Kinder im ländlichen Kambodscha«, sagt Krisher. »Viele kambodschanische Kinder geben zu großen Hoffnungen Anlass. Die Armut verhindert, dass sie ihr Potenzial ausschöpfen können. Alles, was wir tun müssen, ist diesen Kindern auf den Weg zu helfen – unter ihnen könnte ein künftiger Premierminister, ein Bill Gates oder sogar ein zweiter Einstein sein.«
Obwohl er schwer herzkrank ist, erklärt Krisher, habe er nicht die Absicht, das Tempo bei seinen Hilfsaktivitäten zu drosseln. »Mein Kopf steckt noch voller Ideen«, versichert Bernie Krisher.