von Ingo Way
Auch eine Woche nach der umstrittenen Trauerrede des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) auf der Beerdigung seines Amtsvorgängers Hans Filbinger haben sich die Wogen noch nicht vollständig geglättet. Oettinger war in die Kritik geraten, weil er bei der Beisetzung Filbingers gesagt hatte: »Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes.« Außerdem behauptete er über Filbinger, der in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs an Todesurteilen gegen Deserteure mitgewirkt hatte: »Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.« Mit diesen Sätzen löste Oettinger bundesweit Empörung aus. Inzwischen hat sich der CDU-Politiker für seine Rede entschuldigt, ohne allerdings den sachlichen Gehalt zurückzunehmen (vgl. S. 1).
1943 wurde der Jurist Hans Filbinger als Marinerichter nach Norwegen abkommandiert. Wie er selber stets bekräftigte, gegen seinen Willen. Ist wirklich niemand durch seine Gerichtstätigkeit zu Tode gekommen? Verbürgt ist, dass Filbinger noch im März 1945 zwei Todesurteile gegen Deserteure gefällt hat. Diese konnten zwar nicht vollstreckt werden, weil die Betreffenden sich bereits in Schweden befanden. Aber hätte Schweden sie ausgeliefert, wären sie hingerichtet worden.
Exemplarisch ist der Fall Walter Gröger. Hier trat Filbinger nicht als Richter, sondern als Ankläger in Erscheinung. Der Matrose Walter Gröger desertierte im Dezember 1943. Er wurde gefasst und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Auf Geheiß des zuständigen Gerichtsherrn, eines Admirals, wurde das vermeintlich zu milde Urteil aufgehoben und eine Neuverhandlung anberaumt. Filbinger wurde als Ankläger eingesetzt und von jenem Admiral angewiesen, die Todesstrafe zu fordern. Diese wurde dann auch verhängt und Walter Gröger am 16. März 1945 unter Aufsicht Filbingers, der persönlich den »Feuer«-Befehl gegeben haben soll, hingerichtet.
Als dieser Fall 1978 an die Öffentlichkeit kam, rechtfertigte sich Filbinger mit Befehlsnotstand: Er habe der Weisung, die Todesstrafe zu fordern, Folge leisten müssen, andernfalls wäre er selbst bestraft worden. Der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt bemerkt dazu, Filbinger hätte im Falle einer Weigerung höchstens die Strafversetzung, allenfalls ein Disziplinarverfahren fürchten müssen, keineswegs Schlimmeres. Es gebe zahlreiche Fälle, in denen Richter und Ankläger in ähnlichen Fällen entsprechenden Weisungen nicht nachkamen und die Todesstrafe nicht verhängten, und denen sei nichts geschehen, sagt Messerschmidt. Das deutsche Militärrecht von 1872, nach dem Filbinger gehandelt haben will, sah Messerschmidt zufolge die Todesstrafe in Fällen wie dem Grögers keineswegs zwingend vor.
Noch 2003 rechtfertigte Filbinger die damaligen Todesurteile in einem Interview mit der Badischen Zeitung: »Wer meuterte, gefährdete das Ganze.« Ein Gegner des Nationalsozialismus hätte sich über eine »Gefährdung des Ganzen« vielleicht gefreut. Doch Filbinger hat sich nie von seiner Rolle im NS-Regime distanziert. Im Gegenteil beharrte er stets darauf, richtig gehandelt zu haben, und beschädigte zudem den Ruf seiner Opfer. So behauptete er 1995 in einem Leserbrief an den »Spiegel« wahrheitswidrig, der 22-jährige Gröger habe sich vor einer humanitären Rettungsaktion gedrückt – die allerdings erst im Frühjahr 1945 stattfand. Da war Gröger längst tot.
Auch ideologisch entfernte sich Filbinger nie allzuweit von seiner Vergangenheit. 1979 gründete er das rechtskonservative Studienzentrum Weikersheim. Hier durfte NPD-Mitglied Horst Mahler 1997 eine Rede halten.
Und was ist dran an Oettingers Behauptung, Hans Filbinger sei kein Nationalsozialist gewesen? Nach Recherchen des ARD-»Morgenmagazins« sind im Bundesarchiv der 1937 von Filbinger handschriftlich ausgefüllte Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP sowie seine Mitgliedskarte aufgetaucht. Hans-Dieter Kreikamp, Leiter der Abteilung Deutsches Reich des Bundesarchivs in Berlin, bestätigte diesen Fund. Der SA war Filbinger übrigens schon im Juni 1933 beigetreten.