Als Heinrich Olmer 1989 Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg wurde, zählte diese gerade einmal 30 ältere Mitglieder. Olmer sah sich bereits als Verwalter eines Friedhofs. »Es wird nicht viel Arbeit sein«, dachte sich der freundliche, energische Mann. Doch seine Rechnung ging nicht auf. Die Gemeinde zählt inzwischen 900 Mitglieder, die meisten sind Einwanderer aus den Ländern der GUS.
Und an diesem Tag ist Olmers Zeit knapp. Denn er bereitet ein Fest zur Einweihung des ersten Jüdischen Lehrhauses in Oberfranken vor. Viel Prominenz hat sich angesagt, unter ihnen auch Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch. Die Adresse des neuen Jüdischen Lehrhauses in der Willy-Lessing-Straße 7a erinnert an die tragische Geschichte des letzten Vorsitzenden der Bamberger Gemeinde vor dem Holocaust. Lessing, der in der gleichen Straße wohnte – damals hieß sie noch Sophienstrasse – wurde am 9. November 1938, dem Kristallnachtpogrom, beim Versuch, die Torarolle aus den Flammen zu retten, schwer misshandelt. Er starb an seinen Verletzungen. Seit 1948 trägt diese Straße in der Innenstadt seinen Namen.
Ein Jahr später wurde hier Heinrich Olmer geboren, der Sohn von KZ-Überlebenden, die in Bamberg gestrandet waren. Als Einziger seiner Generation ist er hier geblieben. Ihm verdankt die Gemeinde das harmonische Miteinander konservativer und liberaler Juden, das in der 2005 eingeweihten Synagoge sichtbar ist. »Wir haben die Möglichkeit, Männer und Frauen zu trennen«, sagt Olmer bei einer Führung. »Aber in der Regel sitzen wir alle gemeinsam unten und benutzen die Empore ganz selten.« Auch weil der Raum selten gefüllt ist. Einmal im Monat findet ein egalitärer Gottesdienst statt, an dem Männer und Frauen gleichberechtigt teilnehmen.
Mit dem neuen Lehrsaal, der Bibliothek und dem Arbeitszimmer ist die Restaurierung des Gemeindezentrums abgeschlossen. Die Kosten von 3,2 Millionen Euro werden hauptsächlich von der bayerischen Regierung, der Region Oberfranken und der Stadt Bamberg getragen. Spenden kamen von Kirchen, aus Wirtschaft und Politik, und auch die Gemeinde zahlte. In den neuen Räumlichkeiten möchte Olmer eine Vielfalt jüdischer Themenbereiche »in einer angemessenen akademischen Form« einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen. Das sind vor allem jüdische Literatur, Philosophie, Geschichte und Theologie sowie Informationen über Israel. In Zusammenarbeit mit der Universität Bamberg bietet das neue jüdische Lehrhaus Vorträge zu Themen wie »100 Jahre Tel Aviv«, »Einführung in das Judentum« und »Fränkisches Landjudentum am Obermain« an.
Die Seminare, Tagungen und Ausstellungen finden im Anbau des Gemeindezentrums statt. Diese Aktivitäten richten sich nicht unbedingt an die 900 Gemeindemitglieder, denn die meisten von ihnen können nicht gut genug Deutsch, sagt Olmer. Die meisten von ihnen haben auch kein Interesse an jüdischen Themen.
»Zu großen Veranstaltungen wie dem Purimfest, dem Chanukkaball oder die Party zum israelischen Unabhängigkeitstag kommen mehr als 100 Menschen«, berichtet Tatiana Monastyrskaja, die pädagogische Referentin der Gemeinde. »Zu den Gottesdiensten am Schabbat oder Jom Kippur kommen nur wenige.« Tatjana Brutjan, die psychologische Beraterin der Gemeinde, erklärt dieses Desinteresse so: »Für die westliche Welt ist das Judentum eine Religion, für Juden aus der Sowjetunion ist das eine Nationalität. Viele Jahre wurde ihnen gesagt, dass die Religion das Opium fürs Volk war. Daher haben sie Angst: nicht vor der Gemeinde, aber vor der Religion.«
Dass für die meisten eingewanderten Mitglieder Britmila, Barmizwa, Rosch Ha-
schana und Jom Kippur Fremdwörter sind, macht dem Vorsitzenden Olmer auch an diesem Festtag Sorgen: »Nachdem diese Rituale verschwinden und ein hoher Prozentsatz der russischen Mitglieder in Mischehen leben, wird in der nächsten Generation der Aufschwung der Mitgliederzahlen verpuffen.«
Für Charlotte Knobloch ist das neue Lehrhaus und das Aufblühen des Judentums mit Synagogen und Gemeindezentren in Deutschland »ein später Triumph über den Nationalsozialismus«. Knobloch wünschte dem Bamberger Bet Midrasch, dass es über den Ort hinaus wirken könne, gerade auch im christlich-jüdischen Dialog: »Die christliche Seite sollte die Chance nutzen, mehr über jüdisches Leben zu erfahren«, sagt sie. Igal Avidan
Bamberg