Am 25. April ist im Alter von 86 Jahren in Jerusalem Jochanan Meroz, der dritte Botschafter Israels in Deutschland, verstorben. Meroz wurde 1920 in Berlin geboren. Bereits im Frühjahr 1933, unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung, wanderte er nach Palästina aus. Nach Abitur und Studium der Semitistik und Geschichte diente er in der Hagana und der Armee und trat anschließend in den diplomatischen Dienst des gerade zwei Jahre alten Staates Israel ein. Stationen in Ankara, Washington, als stellvertretender Leiter der Israel-Mission in Köln, als Chef des Ministerbüros von Golda Meir, als Gesandter in Paris und als Unterstaatssekretär für Europa im Außenministerium wappneten ihn für seine Botschafter-Funktionen in Bonn und Bern. Danach wirkte er fast bis zu seinem Tod als Schriftsteller. Er war ein in Israel und im deutschsprachigen Raum viel gefragter Berater, Mahner und Kommentator.
Seine Bonner Jahre von 1974 bis 1981 fielen in die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt. Obwohl er enge und freundschaftliche Kontakte zu führenden Politikern, auch und besonders zu Schmidt und anderen Sozialdemokraten, unterhielt, waren diese Jahre alles andere als konfliktfrei. Er selbst fragte sich bei seinem Abschied voller Selbstzweifel, ob seine Bemühungen in Bonn vergebens waren. Sein Buch über diese Zeit trägt den bezeichnenden Titel In schwieriger Mission.
Ich traf Jochanan Meroz damals in der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe und in Vier-Augen-Gesprächen und erlebte ihn als messerscharfen Analytiker, der einerseits David Ben Gurions Politik, Beziehungen zu Deutschland trotz der Schoa und gegen starke Widerstände in Israel auf- und auszubauen, voll mittrug. Andererseits begegnete er diesem neuen Deutschland mit einem gehörigen Maß an Skepsis, ja mit latentem Mißtrauen. Noch 2005 erklärte er, daß politische Veränderungen seit seiner Botschafterzeit ihn zur Überprüfung seiner damaligen Zweifel über Deutschland bestimmten, zugleich betonte er aber: »Wir sind weiterhin an einer Gratwanderung beteiligt, deren Ausgang noch unklar ist«.
Wir lernten uns näher kennen und schätzen in der Verjährungsdebatte der 70er Jahre. Ich war gegen die Verjährung von Mord, die klare Mehrheit meiner Fraktion war aus – wie man sagte – rechtsstaatlichen Gründen dafür. Obwohl ich israelischen Forderungen entgegenkam und in Konflikt mit meiner Fraktionsführung geriet, kam es zu einem harten Zusammenstoß mit dem israelischen Botschafter. Seiner öffentlich vertretenen Auffassung, die Mordverjährung sei für Israel untragbar, widersprach ich in den Medien und im Bundestag. Diese Direktheit begründete eine persönliche Freundschaft, die sich in meinen Jerusalemer Jahren vertiefen sollte.
Meroz war der »Philosoph« aller israelischen Botschafter in Deutschland. Er war alles andere als bequem. Allzu eifrigen Treueerklärungen mißtraute er. Kritik an der israelischen Politik akzeptierte er, reagierte aber fast allergisch, wenn sich jemand als »kritischer Freund Israels« empfehlen wollte. Warum, fragte er, bezeichnen sich dieselben Leute nicht als kritische Freunde Dänemarks? Verbergen sich hinter »kritischen« Freundschaftsbekundungen nicht oft die alten Vorurteile gegenüber Juden?
Jochanan Meroz dachte, redete und handelte absolut unabhängig. Darunter litten von Zeit zu Zeit nicht nur deutsche Gesprächspartner, sondern auch seine Vorgesetzten. Er wollte nicht von allen geliebt werden, dafür wurde er von allen geachtet.
Meroz trug das Wort Freundschaft nicht ständig auf den Lippen. Aber wer ihn als Freund gewonnen hatte, konnte fest auf ihn bauen. Jochanan Meroz hat sich um Israel und die israelisch-deutschen Beziehungen in ungewöhnlicher Weise verdient gemacht. Als unabhängiger Geist und »kritischer« Freund hinterläßt er eine große Lücke.
Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Gerster leitete von 1997 bis 2006 die Konrad Adenauer Stiftung in Jerusalem.