Erich Mendel war ein unermüdlicher Sammler und Forscher, ein begnadeter Kantor und Chorleiter. Und als er, der letzte Chasan der Jüdischen Gemeinde Bochum vor der Schoa, auswanderte und seine Sammlung synagogaler Musik zurücklassen musste, begann er – kaum in den USA angekommen – erneut zu sammeln. Er nannte sich fortan Eric Mandell und machte sich auch in den Staaten einen Namen als Komponist und Lehrer, unterrichtete, hielt Vorträge und schrieb Zeitungsartikel. Das Singen in der Schule sah er als Quelle von Freude und Erhebung an und unterstützte es besonders. Zugleich engagierte sich Mandell gegen modische Verfremdungen der liturgischen Musik.
Der Historiker und Leiter der Evangelischen Stadtakademie Bochum, Manfred Keller, hat dieses Leben aufgeschrieben: »Erich Mendel/Eric Mandell – Zwei Leben für die Musik der Synagoge«. Wie wichtig und einflussreich das Schaffen des am 14. Februar 1902 in Gronau an der holländischen Grenze geborenen Mendel war, entdeckte Keller jedoch erst im Laufe seiner Studien. Denn eigentlich hatte er lediglich ein Heftchen zum 100. Geburtstag des Kantors geplant. Ein Zufall half Keller, ein stattliches Buch von 400 Seiten zu erstellen: Zu einer Veranstaltung über Synagogale Musik kam ein Mann, der sich als Neffe von Martha und Erich Mendel vorstellte. Keller kam mit ihm über sein Projekt ins Gespräch, und einige Tage später kam der Mann mit zwei Koffern zu ihm in die Stadtakademie und brachte lange verwahrte Materialien, Manuskripte, Briefe, Fotos sowie persönliche Dokumente mit und begann, von seinem Onkel zu erzählen: Das »erste Leben«.
Die Darstellung des »zweiten Lebens« basiert auf Gesprächen, die Ronna Honigman mit Eric Mandell in den Jahren 1980 bis 1982 führte. Als Dokument konnte die abermals sehr umfangreich gewordene Sammlung in den USA zur jüdischen liturgischen Musik dienen, die in der Eric-Mandell-Collection in Philadelphia aufbewahrt wird.
Entstanden ist ein Buch, das nicht nur zahlreiche Arbeiten Mandells wiedergibt. Hierzu gehören auch seine Schriften über Leben und Werk seiner großen Kollegen: Arno Nadel, Abraham Zwi Idelsohn, Salomon Sulzer, aber auch weniger Bekannter. Entstanden ist ein kurzweiliges, weit gefächertes Lesebuch zum Thema Synagogale Musik. Farblich abgesetzte Felder geben Dokumente, Übersetzungen oder Hintergrundinformationen wieder und machen auch dem Laien Kontext und Zusammenhang leicht verständlich. Man erfährt vieles über Entstehung und Geschichte beliebter Synagogenlieder wie »En kelo henu«, »Adon olam«, »Maoz tzur«, aber auch über »Hava nagila« oder die Hatikwa. Notenblätter, Kompositionen und Bearbeitungen von Mandell und ausführliche Glossarien zu liturgischen Texten ergänzen das Werk. Michael Rosenkranz
manfred keller (hrsg):
erich mendel/eric mandell – zwei leben für die musik der synagoge
Klartext Verlag, Essen 2006, 25 Euro
Erich Mendel