von Marina Maisel
Der Absturz der amerikanischen Raumfähre Columbia im Jahr 2003 kostete sieben Menschen das Leben. Eines der Opfer war der erste israelische Astronaut Ilan Ramon. Der Sohn eines Holocaust-Überlebenden hatte die Reproduktion einer Kinderzeichnung mit ins All genommen – ihr Zeichner wurde dadurch weltweit bekannt: Petr Ginz. Er war gerade 14 Jahre alt, als er seine Vorstellung davon, wie die Erde vom Mond aus aussieht, zu Papier brachte. Diese »Mondlandschaft« entstand 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt.
Schon bald nach der Columbia-Katastrophe tauchen auf dem Dachboden eines alten Prager Hauses Hefte auf: ein Tagebuch, das Petr Ginz von 1941 bis 1942 in Prag geführt hat. Chava Pressburger, Petr Ginz’ Schwester, die mit ihren Eltern den Holocaust überlebte und inzwischen in Israel lebt, hat den Fund als Botschaft begriffen und sich entschlossen, dieses Zeitdokument zu veröffentlichen. 2004 erscheint Petr Ginz’ »Prager Tagebuch« in der tschechischen Originalfassung, zwei Jahre später auf Deutsch im Berlin-Verlag. Mittlerweile liegt es auf Englisch, Niederländisch, Spanisch, Italienisch und Esperanto vor.
Zahlreiche Texte, Zeichnungen und Linolschnitte von Petr Ginz kamen hinzu. Aus diesem »Kosmos« von Materialen ist eine Präsentation zu Leben und Werk des Petr Ginz zustande gekommen. Vor einem Jahr wurde die Ausstellung im Tschechischen Zentrum in Berlin präsentiert und wandert seitdem durch Deutschland. Diese Ausstellung sei außergewöhnlich betonte Ludger Ikas vom Berlin-Verlag im Gasteig.
Stadträtin Monika Renner eröffnete in Vertretung von Oberbürgermeister Christian Ude die Ausstellung und bedankte sich bei Chava Pressburger, dem Berlin-Verlag, dem Münchner Kulturreferat, dem Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde, der Literaturhandlung, der Münchner Volkshochschule und dem Tschechischen Zentrum für die Möglichkeit, das Vermächtnis des später in Auschwitz ermordeten Petr Ginz in München zu zeigen.
Dessen Schwester, Chava Pressburger, die gemeinsam mit ihrem Mann zur Ausstellungseröffnung eigens aus Israel angereist war, erinnerte an ihren Bruder: »Er zeichnete viel, schrieb Romane oder konstruierte Instrumente.« Damals war er elf Jahre alt. Von September 1941 an dokumentierte Petr Ginz, Sohn eines jüdischen Vaters und einer nichtjüdischen Mutter, das Leben in Prag, dem »Ghetto ohne Mauern«, in seinem Tagebuch. »Es ist neblig. Die Juden müssen ein Abzeichen tragen. Auf dem Weg zur Schule habe ich 69 ›Sheriffs‹ gezählt, Mama hat über Hunderte gesehen.«
Im Koffer, den der 14-jährige Petr bei seiner Deportation nach Theresienstadt mitnahm, war »ein Vorrat von Papier, ein Notizbuch, Linoleum, kleine Messer zum Li- noleumschneiden und ein nicht beendeter Roman …« Petr Ginz wollte ihn in Theresienstadt beenden.
Als »einen jungen Mann« hat die Schwester ihren Bruder Petr wiedergefunden, als sie im Mai 1944 ebenfalls nach Theresienstadt kam. »Er war kein Kind mehr«, erinnert sich Chava Pressburger. Doch die Geschwister Ginz sind nur wenige Monate zusammen. Im September 1944 verschleppen die Nazis Petr Ginz nach Auschwitz und ermorden ihn dort.
Einer von Petrs Freunden hat alle Werke des Jungen, die in Theresienstadt entstanden, sorgfältig aufbewahrt und nach dem Krieg an Petrs Vater zurückgegeben, der alles nach Jerusalem brachte.
Die Ausstellung im Münchner Gasteig zeigt einen Überblick über Leben und Werk des jüdischen Jungen Petr Ginz, der ein ganz eigenes und berührendes Zeitzeugnis gibt, trotz seines jungen und zu früh brutal abgebrochenen Lebens.
»Es ist unserer Pflicht und Aufgabe, niemanden zu vergessen. Wenn es auch so oft gesagt wurde, man kann es nicht oft genug sagen. Die Zeitzeugen wird es eines Tages nicht mehr geben. Der Auftrag, daran zu erinnern und die Erinnerung weiterzugeben, ist unsere ethische Verpflichtung«, betonte Monika Renner bei der Ausstellungseröffnung.
Die Ausstellung im 1. Obergeschoss des Gasteigs, Rosenheimer Straße 5, ist täglich von 10 bis 22 geöffnet. Sie läuft noch bis zum 10. Mai. Der Eintritt ist frei.