von Sabine Brandes
Yitzchak Yitzchaki genießt gern. Entspannt lehnt er sich zurück, hebt das Glas und schwenkt es leicht hin und her. Die tiefrote Flüssigkeit hängt wie ein hauchdünner Film an den Wänden des Glases. Yitzchaki steckt seine Nase tief hinein und schwärmt: »Ja, so muss ein guter Tropfen duften.« Der Mann mit dem charmanten Lächeln sitzt in der Probierstube einer Weinkellerei in Kiriat Tivon im Jisrael-Tal und lässt es sich schmecken. Einen Cabernet Sauvignon in der Hand, einen Teller Käse und Cracker vor sich. Die Kellerei ist seine eigene. Ei-
gentlich ist Yitzchaki Bauunternehmer. Aus seiner Leidenschaft für Wein wollte er ein Hobby machen. Doch mittlerweile ist es viel mehr, als pure Freizeitbeschäftigung. Der Familienbetrieb Tulip heimst eine Auszeichnung nach der anderen ein.
Außerdem tut Yitzchaki Gutes. Doch darüber redet er nicht gern. Viel lieber spricht er über sein Produkt: »Es war schon immer mein Traum, guten Wein nicht nur zu trinken, sondern selbst herzustellen. So richtig von der Lese bis zum Abfüllen.« Ein Herzenswunsch, der vor vier Jahren Wirklichkeit wurde. Doch dann lief es plötzlich so gut, dass auch Yitzchakis Sohn Roi in der Weinkellerei beschäftigt und vor einem Jahr Marketingmanagerin Neta Mainz eingestellt wurde, die sich heute um alles Organisatorische kümmert.
Die genaue Ortsbezeichnung des Familienbetriebes ist Kfar Tikwa, das Dorf der Hoffnung. Hier leben und arbeiten etwa 200 Menschen »mit besonderen Bedürfnissen«, wie Mainz erklärt. Es sind Männer und Frauen mit geistigen und teils auch körperlichen Behinderungen, die in einer grünen Oase in ihren eigenen Wohnungen so selbstständig wie möglich leben. Einige von ihnen arbeiten in der Weinkellerei. Im täglichen Geschäft sind es vier Angestellte, zur Weinlese oder -produktion viele mehr. Anfangs habe sie nicht gewusst, was auf sie zukomme, gibt die junge Frau zu. »Es bedurfte viel Offenheit, Einfühlungsvermögen und vielleicht auch etwas mehr Geduld als gewöhnlich. Aber heute ist es einfach nur wunderbar. Wir alle hier lieben es, mit ihnen zu arbeiten, weil sie ganz wundervolle Menschen sind, die uns viel zurückgeben.«
Einer von ihnen ist Nathan Knaani. Der 58-jährige geistig behinderte Mann lebt seit seinem elften Lebensjahr in Kfar Tikwa. Er bewegt sich an diesem Montagmorgen in den Räumen der Kellerei, als hätte er nie woanders gearbeitet. Seine Worte sind für Außenstehende nicht einfach zu verstehen, doch Mainz weiß ganz genau, was ihr Kollege meint. Er will jetzt seine Arbeit für die Woche vorbereiten, klärt sie auf. Sie kenne die Prozedur mittlerweile genau. »Wir verstehen uns meist auch ohne viele Worte«, fügt sie hinzu und schmunzelt.
Die Angestellten werden entsprechend eines normalen Kibbuz-Gehaltes bezahlt. Sie arbeiten während der Ernte, an den Maschinen, beim Einfüllen, Verkorken, Etikettieren oder an den Wochenenden im Besucherzentrum. »Sie sind so freundlich und hilfsbereit, es macht einfach Spaß, und sie gehören dazu, wie jeder andere von uns auch«, betont Mainz.
Tulip gehört zu den sogenannten Boutique-Weinkellereien des Landes, von denen in den vergangenen Jahren immer mehr eröffnet worden sind. Die privaten Unternehmen produzieren von 10.000 bis 100.000 Flaschen Wein pro Jahr, doch kaum eines schafft einen derart kometenhaften Aufstieg wie dieses. Mit 60.0000 abgefüllten Flaschen liegt Tulip bei der Menge im Mittelfeld, bei der Qualität aber spielt sie ganz oben mit. Für den »Mostly Cabernet Franc« und »Mostly Shiraz« er-
hielt sie im vergangenen Jahr die Goldmedaille, die höchste israelische Auszeichnung für Wein. Prämiert und dennoch bezahlbar: die Preise reichen von 58 bis 65 Schekel, um die zehn Euro pro Flasche. »Das ist das Credo der Familie«, so Mainz: »Auch hervorragender Wein soll für alle Menschen erschwinglich sein«. Ein besonderes Konzept, das aufgeht.
In diesem Jahr hat Tulip mit dem Ex-
port begonnen. Auf der inländischen Ausstellung Isra-Wein nahm ihn das »Liquor Board of Ontario« in seine Liste von alkoholischen Getränken auf, »eine ungewöhnliche Ehre«, meint die junge Managerin, die eigens dafür nach Kanada reiste. Und eine lukrative dazu. Erste kleine Lieferungen sind zudem bereits nach Deutschland gegangen, in England und Japan werden Gespräche geführt.
Ein Geheimnis des Erfolgs, verrät Weinmacher Tamir Artzi, ist auch die »Zusam-
menstellung der Trauben«. Sie stammen sowohl von den Jerusalemer Bergen wie aus Galiläa. »Das Mischen der Regionen ist neu«, sagt Artzi nicht ohne Stolz, »wie etwa bei unserem Cabernet Sauvignon Reserve. Gerade der Mix ergibt einen qualitativ hochwertigen Wein mit dem gewissen Etwas, das andere nicht haben.« Bei der klassischen Weinproduktion gehe es hauptsächlich um Regionen, weiß er. »Aber nicht für uns. Hier wird Klassik mit Moderne verbunden. Wir mixen gern.« Alle edlen Tropfen reifen sechs Monate bis zwei Jahre in französischen und amerikanischen Eichenfässern.
Mittlerweile werden die Cabernet Sauvignon, Merlot, Shiraz und Syrah in ganz Israel verkauft. Von Naharija bis Eilat wird die Marke mit dem rot-schwarzen Label in Weinläden und der Supermarktkette »Tiv Taam« angeboten und in erlesenen Restaurants ausgeschenkt. »Ein fast unglaublicher Erfolg«, macht Mainz deutlich, »vor allem, wenn man bedenkt, dass wir erst 2003 den Betrieb aufgenommen haben.«
Das Geheimnis? »Es sind sicher die herausragenden Zutaten und die sorgfältige Arbeit«, ist Yitzchaki überzeugt, »aber in erster Linie ist es unsere große Liebe zum Wein, die den Unterschied macht.« Der Eigentümer spricht nicht gern über die »guten Taten«. Seine Familie und er glauben an zwei Prinzipien: »wunderbaren Wein machen und etwas an die Gesellschaft zurückgeben«.