von Salomon Korn
Erinnerungen, Geschichten und Anekdoten über Leo Baeck in seiner Rolle als Lehrer und Dozent sind Legion. Seine Schülerinnen und Schüler empfanden es rückblickend als großes persönliches Glück, ja als Geschenk, Leo Baeck begegnet zu sein oder sein Rabbinerseminar besucht zu haben. Allen Schilderungen gemein ist nicht nur die Bewunderung für den großen Gelehrten, Rabbiner und Philosophen, sondern vor allem der tiefe Eindruck, den Baeck als Mensch hinterließ. Bemüht, dessen Wesen in einem Wort zum Ausdruck zu bringen, prägte einer seiner Weggefährten das schöne Wort von der »Herzenshöflichkeit«. Diese sei das hervorstechende Charaktermerkmal des verehrten Lehrers und Wissen- schaftlers gewesen.
Selbst während seiner Inhaftierung im Konzentrationslager Theresienstadt nutzte Baeck jede sich bietende Gelegenheit, um Mithäftlinge an seinem Wissen teilhaben zu lassen. Mit seinen Vorträgen zum Wesen und Gehalt der jüdischen Religion spendete er Trost, Ablenkung und religiöse Erbauung in schwerer Zeit. Den Respekt gegenüber anderen Meinungen und Überzeugungen versuchte er zeitlebens, den Teilnehmern seines Rabbinerseminars zu vermitteln. Eine Haltung, die für ihn Grundvoraussetzung religiöser Toleranz war. (...)
Die Rolle Leo Baecks als Lehrer und die Schilderungen seiner Studenten sind deshalb erwähnenswert, weil auch Hubert Burda in seinen Studienjahren an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität das Glück hatte, prägenden Persönlichkeiten zu begegnen: unabhängigen Menschen, die ihm Rückhalt gaben, die eigenen Interessen zu verfolgen und insbesondere der Liebe zu Kunst und Malerei nachzugeben. Inwieweit diese Studien im Offenburger Elternhaus als passende Ausbildung für die Arbeit im Verlag erachtet wurden, erschien dem Studenten der Kunstgeschichte, Archäologie und Soziologie zweitrangig. »Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege«, heißt es im Buch Jesaja. Eine Feststellung, die den phasenweise schmerzhaften Abnabelungs-Prozeß des jüngsten Burda-Sohnes treffend umreißt.
Das Streben nach Unabhängigkeit ging bei Hubert Burda nie einher mit intellektueller Abgehobenheit. Im Gegenteil: Es zählt zu seinen Eigenarten, daß er sich nie zu schade ist, Rat und Anregung von Dritten anzunehmen. Das Gespräch und der gedankliche Austausch mit seinem jeweiligen Gegenüber bilden eine Art Grundton im Leben Hubert Burdas. So schart er regelmäßig Visionäre, Spezialisten und Fachleute aus allen Wissensgebieten um sich, um gemeinsam Konzepte zu erarbeiten, Ideen auszutauschen und neue Entwicklungen anzustoßen. Treffen dieser Art finden bezeichnen- derweise nicht nur in den Konferenzräumen seiner Verlags-Dependancen statt, sondern auch unter freiem Himmel, in Gärten, auf einem Berggipfel oder unter der schmissigen Überschrift »Cool people in the hot desert« im Sand der Negev-Wüste.
Der bei Hubert Burda zu beobachtende Zusammenhang von Ratsuche und Weitsicht spiegelt sich in verschiedenen von ihm angestoßenen Projekten wider. Ein Beispiel von vielen ist das der Ben-Gurion-Universität angegliederte »Hubert Burda Center for Innovative Communications« in Beer-Schewa. Arbeit und Ausrichtung des Instituts verweisen auf das Gespür des Stifters für die Themen der Zukunft und auf dessen unternehmerische Kompetenz bei der Beurteilung eines Standortes. Dieses Projekt ist besonders erwähnenswert, weil Hubert Burda damit die Tradition anderer großer deutscher Verleger wie Axel Springer, Reinhard Mohn oder Georg von Holtzbrinck fortführt. Namen, die für den aufrichtigen Versuch der Aussöhnung zwi- schen Deutschland und Israel stehen und für das Bemühen, den Dialog zwischen Juden und Nichtjuden wie auch zwischen Deutschen und Israelis dauerhaft aufrechtzuerhalten. »Der Weg eines deutschen Verlegers führt über Jerusalem«, dieser Leitspruch Axel Springers blieb Hubert Burda unvergeßlich, ja wurde ihm fortan zum Auftrag, dem er sich nicht zuletzt auch angesichts der eigenen Unternehmensgeschichte verpflichtet fühlt. Weil über sie der lange Schatten des Nationalsozialismus fällt, bat ich Hubert Burda um ein Gespräch, das mir näheren Aufschluß über ihn, seine Persönlichkeit und seine Familiengeschichte geben sollte. (...)
An jenem Abend im September, an dem ich Hubert Burdas Einladung zu einem Abendessen in seinem Haus folge, sitzen wir an einem gedeckten Tisch in seiner Bibliothek und durchmessen innerhalb eines sich ständig erweiternden Gesprächshorizontes die Welt: die der Kunst, der Literatur, der Geschichte, um schließlich auf sei- nen Vater und dessen Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus zu sprechen zu kommen. Sein Vater sei ein Opportunist gewesen, der die sich ihm bietenden Vorteile der »Arisierung« jüdischen Eigentums genutzt habe, da gebe es nichts zu beschönigen. Er wisse aber nicht mit letzter Sicherheit, so Hubert Burda weiter, ob er an dessen Stelle nicht auch Opportunist, Profiteur oder Mitläufer gewesen wäre. (...)
Viele derer, die sich mit finanziellen Mitteln oder ehrenamtlichem Einsatz für jüdische Belange engagieren oder Projekte gegen das Vergessen unterstützen, betreiben dies auch aus der Hoffnung heraus, die Epoche der sogenannten deutsch-jüdischen Symbiose ließe sich wiederbeleben. Dem liegt ein Mißverständnis zugrunde: Die Juden, die im Zeitalter der Emanzipation bis Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts in Deutschland lebten, waren, obwohl sie sich vorbehaltlos als Deutsche fühlten, in ihrer Mehrheit keineswegs voll integrierter Teil des deutschen Alltagslebens. Die Namen noch so prominenter deutscher Juden ändern nichts daran. Zudem ist die jüdische Lebenswelt, wie sie vor 1930 in Deutschland existierte, durch das nationalsozialistische Menschheitsverbrechen endgültig zerstört worden. Was folgte, war keine Wieder- belebung des einstigen deutschen Judentums, sondern ein Neuanfang auf dem brüchigen Fundament Millionen Toter und zerstörten oder geraubten Besitzes. Entstanden ist zwischenzeitlich eine rund 100.000 Menschen zählende, mit Vergangenem nicht zu vergleichende neue jüdische Gemeinschaft in Deutschland. (...)
Hubert Burda hat sich mit seinem aus Überzeugung gewachsenen persönlichen Einsatz im Rahmen des komplizierten jüdisch-deutsch-israelischen Beziehungsgeflechts vorbehaltlos an die Seite des deutschen Nachkriegsjudentums gestellt. Er trägt seinen Teil dazu bei, die große Anstrengung der Integration von inzwischen fast 100.000 zugewanderten Juden aus den ehemaligen GUS-Staaten voranzubringen. Das Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München auf dem Jakobsplatz, dessen Bau von Hubert Burda großzügig unterstützt wurde, wird die Eingliederung der Einwanderer und deren Nachkommen und damit die Stärkung jüdischen Lebens in Deutschland weiter fördern. Der Bau ist zugleich Stein gewordenes Symbol für das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft in die demokratische Stabilität der Bundesrepublik Deutschland. (...)
Mit fortschreitendem Abend wird das Gespräch im Hause Burda zunehmend persönlicher. Wir kommen auf seine Affinität zum Judentum zu sprechen. Woher sie stamme, könne er nicht benennen. Bei aller Bindung an Bayern, Baden und Deutschland empfinde er als Heimat auch all jene Orte, die den Geist Jerusalems, Athens und Roms atmeten: Amsterdam, Lissabon, Paris, London, New York, Tel Aviv, München –»Wie Heimatahnung glänzt es her / Und war doch nur zu kurzer Rast« (Hesse). (...)
Zu den legendären Persönlichkeiten der europäischen Verlagsgeschichte zählt der britische Verleger George Lord Weidenfeld: Weltbürger, Mittler zwischen den Religionen und begnadeter Netzwerker. Hubert Burda pflegt schon seit vielen Jahren freundschaftlichen Kontakt zu ihm. Ihre gemeinsamen Gespräche über jüdisch-israelische Belange hinterließen bei Lord Weidenfeld nach dessen eigenen Worten bleibenden Eindruck: »The other day someone asked me, with unconcealed astonishment, what made my faith in the future of friendship between Germans and Jews so adamant. I answered: Because I have come to know at first hand the new Germany; because I have real friends whom I trust and who I know feel deeply about the causes that are dear to me. And, by the way, have you met Hubert Burda?«
Was immer der Gesprächspartner von Lord Weidenfeld geantwortet haben mag: Wir wissen es nicht. Der Zentralrat der Juden in Deutschland teilt jedoch die Einschätzung, Hubert Burda als echten Freund und Verbündeten der jüdischen Gemeinschaft kennengelernt zu haben und überreicht ihm als Dank für seine Partnerschaft und sein Engagement den Leo-Baeck-Preis 2006.
Lieber Hubert Burda: Herzlichen Glückwunsch zu dieser Ehrung!