Ein Antisemit im Kabinett?
Israel boykottiert den neuen polnischen Vizepremier
von Oliver Hinz
Israel hat nach dem Rechtsruck in Polen Konsequenzen gezogen: Es lehnt die Zusammenarbeit mit dem neuen Vizepremier und Bildungsminister Roman Giertych ab. Jerusalem werde auch nach der Beteiligung von Giertychs Liga Polnischer Familien (LPR) an der Regierung keine Kontakte zu LPR-Politikern unterhalten, sagte der israelische Botschafter in Polen, David Peleg. Die LPR verfolge eine antisemitische Ideologie, sagte ein Sprecher des israelischen Außenministeriums. Einen offiziellen Boykott sprach er nicht aus. Der 35jährige Nationalist Giertych ist seit dem 5. Mai als Bildungsminister auch für den Geschichtsunterricht und den Umgang mit dem Thema Holocaust in den Schulen zuständig.
Der deutsche Vizepräsident der Europäischen Kommission, Günter Verheugen, zeigte sich zwar besorgt über die rechtsnationalistische Koalition in Warschau. Sanktionen seien jedoch ein Instrument, »das ein letztes Mittel bleiben muß. Sonst verliert es seinen Sinn.« Er verwies auf die Erfahrungen mit Österreich. Gegen die Alpenrepublik hatte die EU im Jahr 2000 wegen des Eintritts der rechtspopulistischen FPÖ in die Regierung Sanktionen verhängt. Gegen Polen müsse die EU »viel entschlossener reagieren«, forderte hingegen der letzte überlebende Anführer des Aufstands im Warschauer Ghetto von 1943, Marek Edelman. »Ich bin überrascht und sehr enttäuscht, daß die EU nicht reagiert.«
Die bilateralen Verstimmungen zwischen Warschau und Jerusalem versuchen beide Seiten bisher kleinzureden. So versicherte der polnische Premierminister Kazimierz Marcinkiewicz (PiS) dem Botschafter Peleg in einem Gespräch, daß seine Regierung entschieden »gegen alle Anzeichen von Antisemitismus und Rassismus« vorgehen werde. Giertych selbst nannte die Vorwürfe gegen ihn haltlos.
Der Parteichef gründete einst die rechtsextreme »Allpolnische Jugend«. Die Neonazis dieser LPR-Jugendorganisation zeigten bei Feiern den Hitler-Gruß. Selbst im Parlament schreckten die Rechtsradikalen nicht vor antisemitischer Propaganda zurück. Ein LPR-Abgeordneter beschimpfte Leon Kieres, der als Leiter des Instituts des Nationalen Gedenkens den Judenpogrom von Jedwabne im Jahr 1941 aufarbeitete, als »Judenknecht«. Als Kieres 2002 seinen Rechenschaftsbericht dem Parlament vorlegte, forderte der Abgeordnete ihn sogar auf, die Hosen herunterzulassen, um zu beweisen, daß er ein »echter Pole« sei.
Die polnisch-israelischen Beziehungen waren lange belastet. Mit antisemitischen Hetzkampagnen trieb das kommunistische Regime in Warschau 1968 viele Juden aus dem Land. Seit der Wende 1989 hat sich das Verhältnis aber stark verbessert. Der polnische Oberrabbiner Michael Schudrich erklärte im Jahr 2005: »Unter dem Strich ist Polen zu einem der größten Verbündeten Israels in der EU geworden – wenn nicht sogar zum größten überhaupt.«
Trotzdem sind in Polen antisemitische Vorurteile weit verbreitet. Laut einer Umfrage vom Mai 2005 meinen 43 Prozent der Polen, Juden hätten in der Wirtschaftswelt zu viel Macht.