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Erinnerungstreffen

Eichmanns Entführer

von Lena Gorelik

Jakov Mejdad hat eine Glatze, zitternde Finger und fühlt sich wohler, wenn ihn jemand beim Gehen stützt. Jakov Mejdad ist ein alter Mann, der Geschichten erzählt, wie so viele andere alte Herren. In seinen Geschichten ist Jakov Mejdad ein junger, starker Bursche, ein sportlicher Typ mit Grips. Ausgesprochen anpassungsfähig soll er außerdem gewesen sein. Sagt der Mossad. Jakov Mejdad ist ein alter Mann, der Geschichten erzählt, wie so viele andere alte Herren, aber seine Geschichten handeln von seiner Arbeit beim angeblich besten Geheimdienst der Welt. Und von Adolf Eichmann: Ranghoher Nazi, SS-Obersturmbannführer, Koordinator der Judentransporte in Ghettos und Konzentrationslager, Protokollführer der Wannsee-Konferenz, mitverantwortlich für den Massenmord an sechs Millionen Juden. 1960 vom israelischen Geheimdienst in seinem Versteck in Argentinien aufgespürt, entführt, heimlich nach Israel gebracht, vor Gericht gestellt. Zum Tode verurteilt – das bis heute einzige Todesurteil in der israelischen Justizgeschichte. Auf diesen Prozess, in dessen Verlauf sich Eichmann immer wieder als nicht schuldig bekannte (er habe nicht vorsätzlich gehandelt, sondern nur Befehle ausgeführt), sind die Israelis bis heute stolz. Keine Rache, keine Lynchjustiz. Dabei wäre es so einfach gewesen. Mehrere Tage lang hielten die Mossad-Mitarbeiter Eichmann in einem Versteck in Buenos Aires fest, bevor sie ihn außer Landes brachten. Ein rechtsstaatlicher Prozess der Opfer gegen den Massenmörder. Hitler, so sagen die Israelis, habe weder das jüdische Volk auslöschen können noch dessen Gefühl für Menschlichkeit.
»Ich war für die Vorbereitung der Operation verantwortlich. Für die Verstecke, die Auto-Anmietung, die Infrastruktur vor Ort«, erzählt Jakov Mejdad. Er mag alt sein und beim Laufen eine Stütze brauchen, aber wenn er spricht, schallt seine Stimme so stark in den Raum hinein wie die eines geschulten Rhetorikers. Zusammen mit 13 anderen ehemaligen Mossad- und El-Al-Mitarbeitern ist Jakov Mejdad an diesem Montagmorgen in das israelische Zentrum für Holocaust-Studien Massuah im Norden gelegenen Kibbuz Tel Itzhak gekommen, um die Geschichte der Eichmann-Entführung zu erzählen. Zum ersten Mal seit 46 Jahren sehen sich die Beteiligten wieder. Sie treffen sich morgens, damit sie sich am Nachmittag ausruhen können.
Alte Männer, die einander beim Begrüßen scheinbar emotionslos die Hand geben, erzählen Geschichten, die einem Thriller von John Le Carré entstammen könn- ten. Kleine Details, die in keinem Schulbuch zu finden sind, auch in keiner Zeitung nachgelesen werden können, sondern von Mund zu Mund, von Generation zu Generation weitergegeben werden. Jakov Mejdads Geschichte zum Beispiel, der die Autos für die Entführung mietete. Er wollte einen unauffälligen schwarzen, geräumigen Wagen, am liebsten einen 53er Chevrolet. Der Händler wollte 5.000 US-Dollar Pfand für das Auto haben. Mejdad ging zur Bank, wo er das Geld in 20-Dollar-Noten ausbezahlt bekam. Der Händler fand das verdächtig und ließ das Geld genau überprüfen. »Jede Kleinigkeit war kompliziert«, sagt der Ex-Mossad-Mann.
Oder die Geschichte von Schmuel Aloni, der der Opa von jedermann sein könnte, über seinem karierten Hemd eine Joggingjacke trägt und bei seinen Erzählun- gen immer bei Adam und Eva anfängt, aber das mit Charme. Er war Steward bei El Al und, wie er erst später erfuhr, nur deshalb für den Flug aus Argentinien angeheuert worden, weil er in seiner Armeezeit im Aufklärungsdienst tätig war. In Buenos Aires traf Aloni zufällig einen Mossad-Agenten. Der schlug ihm einen Spaziergang vor und bat ihn ganz nebenbei, seine Sachen doch schon vorher zusammenzupacken und die El-Al-Uniform auf den Koffer zu legen. Er fragte Aloni: »Willst du etwas für deine Heimat tun?« Seine Uniform sah der Steward erst im Flugzeug wieder – in ihr steckte der in seinem Sitz zusammengekauerte Eichmann.
Massuah, das Institut für Holocaust-Studien, in dem diese Geschichten erzählt werden, hat eine große Ausstellung zum Eichmann-Fall zusammengetragen. Hier sieht man zum Beispiel die Karte, auf der die Spione Eichmanns Leben »markiert« haben: sein Haus, seinen Arbeitsplatz, die Wohnungen seiner Freunde. Hier ist auch der Gehstock des Undercover-Agenten zu sehen, der sich als alter Mann verkleidete, um ganz langsam an Eichmanns Haus vorbeispazieren zu können, immer wieder. Zvi Aharoni, einer der wichtigsten Strippenzieher der Entführung, ist inzwischen verstorben. Aber seine Freunde erzählen von seinen Taten. Zum Beispiel davon, wie er Eichmann später im Versteck befragt hatte: »Welche Schuh-, Hut-, Kleidungsgröße haben Sie? Wie ist Ihre Parteinummer? Was ist Ihr wirklicher Name?« Bis Eichmann gestand.
Die Operation war genau vorbereitet. Jeder Schritt hatte mindestens fünf ausgearbeitete Alternativen, mindestens zwei von ihnen beinhalteten Flucht. Die Agenten trafen nacheinander in Buenos Aires ein, jeder für sich. Manch einer wusste vorerst nicht, weshalb er nach Argentinien flog. »Pack Sachen für zwei bis drei Wochen ein«, las Joe Klein, der damalige Chef von El Al in New York, Holocaust-Überlebender, der für die Flugvorbereitung und Auswahl der Bordcrew zuständig war, in einem Telegramm. Zur Vorbereitung traf man sich in unterschiedlichen Cafés. Die Adresse des nächsten Treffpunkts wurde auf einem zusammengeknüllten Zettelchen unter dem Tisch weitergereicht.
11. Mai 1960, Buenos Aires, 19.30 Uhr Ortszeit. Adolf Eichmann alias Ricardo Klement (in den Jahren seit Kriegsende auch bekannt als Adolf Karl Barth oder Otto Eckmann) verlässt wie jeden Abend den Bus 203. In der Hand trägt er wie jeden Abend eine Taschenlampe, die vorne weiß und hinten rot leuchtet. Wie bei einem Fahrrad, damit die Autos ihn in der dunklen Straße erkennen. Eichmann ist auf dem Weg nach Hause von seiner Arbeit als Elektriker in einem Mercedes-Benz-Werk. Er biegt in die schmale Gribaldi-Straße ab. Zwei Autos kommen um die Ecke gesaust. Eins blendet ihn, aus dem anderen springen zwei Männer heraus, halten ihm den Mund zu, halb zerren, halb schubsen sie ihn auf den Rücksitz. Eichmann wehrt sich mit Händen und Füßen, aber er schweigt. Die Aktion dauert nicht länger als zwanzig Sekunden. »200 bis 300 Mal haben wir das vorher geübt, uns jedes Mal um eine halbe Sekunde verbessert«, erzählt Jakov Gat 46 Jahre später. Zusammen mit Avraham Shalom hat er damals die Operation geleitet, zusammen sind die beiden heute hergekommen. Sie ergänzen die Erzählungen des jeweils anderen mit Details, als seien sie ein altes Ehepaar.
Im Auto wird geschwiegen. Einmal sagt Zvi Aharoni: »Schweig oder du bist tot.« Darauf antwortet Eichmann: »Ich habe mich schon meinem Schicksal ergeben.« Diesen Satz zitiert Avraham Shalom heute auf Deutsch. Eichmann wird in ein Versteck gebracht, eines von sechs, die sicherheitshalber angemietet wurden und zur Auswahl stehen. Dort unterschreibt der Kriegsverbrecher eine wichtige Erklärung: »Nachdem jetzt meine Identität bekannt ist, sehe ich, dass es keinen Sinn hat, zu versuchen, mich weiter der Gerechtigkeit zu entziehen. Ich erkläre mich bereit, nach Israel zu fahren, um dort vor ein zuständiges Gericht gestellt zu werden.«
Elf Tage lang lebt Eichmann mit verbundenen Augen in seinem Versteck. Er wird gefüttert und auf die Toilette begleitet. Ein Unmensch, der men- schlich behandelt wird. Das betonen seine Entführer auch heute noch immer wieder. Ein Arzt untersucht ihn jeden Tag.
Als El-Al-Mitarbeiter verkleidet und mit einer Schlafdroge vollgepumpt wird Eichmann von Jakov Gat ins Flug- zeug geführt. »Ich hatte solche Angst, dass das Medikament nicht mehr wirkt, dass er zu schreien anfängt.« Angst hatte auch sein Partner Avraham Shalom. Er hatte die Aufgabe, einen El-Al-Techniker zu spielen: Den ganzen Tag lief Shalom alleine oder mit Partnern vor dem Flugzeug auf und ab, begutachtete irgendetwas, bis er den argentinischen Flughafenmitarbeitern nicht mehr auffiel, als er später half, Eichmann an Bord der Maschine zu bringen. Panische Angst bekam die gesamte Crew, als das Flugzeug einige Minuten vor Abflug wieder zurückbeordert wurde. »Wir steckten in einem Dilemma. Wenn wir der Anweisung folgten, liefen wir Gefahr, verhaftet zu werden. Wir wussten schließlich nicht, ob Eichmanns Familie sich bereits bei der Regierung gemeldet hatte. Wenn wir einfach starteten, war es möglich, dass die Argentinier versuchten, uns abzuschießen«, erzählt Schaul Schaul, der nach wie vor groß und stämmig ist und wie ein gutmütiger Märchenonkel wirkt. Kopilot Schaul Schaul war auch derjenige, der vorgeschickt wurde, um in Erfahrung zu bringen, warum der Start sich verzögert: Es fehlte eine Unterschrift auf einem der Formulare. Als der Flug startete, wusste außer dem Piloten niemand, dass das Flugzeug das vorgesehene Ziel Rom niemals erreichen würde. Ägypten kompliziert umfliegend – aus Angst, die argentinische Regierung könnte Kairo um Hilfe gebeten haben – landete die Maschine am 23. Mai 1960 um 7.05 in Israel. »Eichmann sah so mickrig aus, ich hätte ihm nicht einmal einen Job als Postfilialenleiter zugetraut«, sagt Jakov Mejdad heute. »Ich habe so sehr darauf gewartet, dass Ben Gurion die Nachricht an die Öffentlichkeit lässt, um es meiner Frau erzählen zu können«, erzählt Ko- pilot Schaul Schaul. »Sobald das Flugzeug im Hangar war, riefen wir Ben Gurion an und gaben ihm das Code-Wort durch«, sagt Jakov Gat, Leiter der Operation: »Miflezet be-asikim« – Monster in Handschellen.
Drei alte Männer haben diesen Krimi erzählt, als sei es nichts Großes gewesen. Ein Scherz am Rande, ein Abwinken hier und da. Drei alte Männer, die einen NS-Verbrecher vor Gericht brachten. Den gefürchteten Adolf Eichmann, der sich als nicht schuldig bekannte, während Holocaust-Überlebende im Zeugenstand ohnmächtig zusammenbrachen, weinten, schrien. Ganz Israel hörte über Radiolautsprecher mit. Nonstop. Man sagt, dieser Prozess habe die Schoa-Überlebenden und die Kibbuzniks zu Israelis zusammengeschweißt. Der Soundtrack der israelischen Identität.

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