von Liva Haensel
Das Blitzlicht der Kamera spiegelt sich auf seiner Stirn für einen Bruchteil von Se-
kunden wider. »Klick«, und noch einmal »Klick«. Ein leichtes Drehen des Gesichtes nach links. Dov Laor kennt das, sagt er. Das sei nichts Neues: Das Blitzlichtgewitter, die vielen Menschen, die tausend Fragen stellen und noch mehr Antworten von ihm hören wollen. Dov Laor ist ein gefragter Mann in diesen Tagen, ein begehrtes Objekt für Lokalreporter und internationale Medien.
Der 88-Jährige steht vor dem Rednerpult, gegenüber Fotografen, neben ihm ei-
ne üppige Dekoration von rosafarbenen Lilien mit Efeuranken. Gleich wird Hermann Simon, Direktor des Centrum Judaicum, die Eröffnungsrede für die Ausstellung »Es brennt« halten. Sieben Minuten danach tritt der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, neben das süßlich duftende Lilienbouquet und wird über die Wichtigkeit des 9. November sprechen und darüber, dass Synagogen vor 70 Jahren brannten und dass die Menschen wegschauten statt zu helfen.
Dov Laor sitzt jetzt in der vierten Reihe, Platz zwei ganz außen. Er hat seine Hände über dem Bauch gefaltet und schlägt die Füße übereinander. Er ist ganz ruhig, wa-
rum soll er auch aufgeregt sein? Schließlich ist er einer von acht Ehrengästen. Ein deutscher Jude: Laor wurde 1920 in Berlin geboren und wuchs in Mitte und Prenzlauer Berg auf. Sein Vater gehörte zum Vorstand der Synagoge Rykestraße. Dort feierte Laor 1933 auch seine Barmizwa. 1939 emigrierte er nach Palästina. Seine beiden Schwestern und sein Bruder konnten ebenfalls aus Deutschland fliehen. Seine Eltern wurden 1943 in Auschwitz ermordet. Laor kehrte 1945 als Mitglied der britischen Armee nach Berlin zurück, um seine Eltern zu suchen. Erst in den 60er-Jahren erfuhr er von ihrem Tod. Heute lebt Dov Laor in Tel Aviv. Damals, als er noch Bernhard Luster hieß, kannte er Berlin wie seine Westentasche, sagt er. Klaus Wowereit streicht sich vorne kurz über seine rotglänzende Krawatte, als Dov Laor seine Sitzposition im Publikum wechselt und sich vorsichtig einen Pfefferminzbonbon in den Mund steckt.
Eine Stunde später ist die Ausstellung eröffnet. Die Gäste gehen im Treppenhaus langsam nach unten, Dov Laor ist mitten drin. Er braucht ein bisschen Zeit dafür, er ist ein älterer Herr, und es gilt, drei Etagen zu Fuß zu gehen.
»Ich wohne mit meiner Frau als Gast der Bundesregierung im Steigenberger Hotel«, sagt er und lächelt dabei. »Dort würde ich ja normalerweise nicht wohnen, sonst gehe ich ja bankrott«, fügt er dann fast schelmisch hinzu. Es ist längst nicht sein erster Besuch in der deutschen Hauptstadt seit 1945. Der ehemalige israelische Brigadegeneral und Mitarbeiter einer deutschen Firma in Tel Aviv war schön öfters hier. In Deutschland hat er viele Freunde. Er habe nie aufgehört, seine Muttersprache zu sprechen, sagt er wie selbstverständlich.
Dov Laor hat eine persönliche Begleiterin des Centrum Judaicum bekommen, die ihm nicht von der Seite weicht. Unten angekommen im Ausstellungsraum zeigt er das Zeitzeugenprogramm, ein kleines Heft mit allen Terminen. Mittwochnacht Ankunft aus Tel Aviv am Flughafen Tegel. Donnerstag im Centrum Judaicum. Freitag Gespräch mit der Bundeskanzlerin und Führung durch den Reichstag. Am Samstag hat Dov Laor ein individuelles Sonderprogramm. Während die anderen Ehrengäste in das Jüdische Museum in Kreuzberg gehen, wird er am regulären Gottesdienst in der Rykestraße teilnehmen. »Das ist für mich wohl das Aufregendste: Wieder dort sein so wie damals, als ich Barmizwa war«, sagt er. Zum ersten Mal glänzen seine Augen dabei, als er über seine Gefühle spricht. Insgesamt fühle er sich sehr geehrt in diesen Tagen. Während Dov Laor im Gedränge steht, kommen die Journalisten wieder in Scharen und halten ihm Mikrofone an den Mund. Dov Laor hält es aus. Aber es geht auch anders. Ehefrau Ilana Plaut-Laor hat sich für mehr Freiheit entschieden und shoppt währenddessen auf dem Kurfürstendamm. »Wir haben fünf Enkel und fünf Urenkel. In Berlin kann man prima für sie einkaufen«, sagt Dov Laor mit einem Grinsen.
Am Sonntag hat Dov Laor einen Großteil seines Programmes hinter sich ge-
bracht. Er wird am nächsten Tag in seine Heimat Israel zurückfliegen – mit Emotionen und Erinnerungen im Gepäck. »Die Rede der Kanzlerin war herzerwärmend«, findet er jetzt kurz vor dem Ende der Reise.
Und natürlich war der Besuch in seiner Synagoge in der Rykestraße für ihn ein außerordentliches Erlebnis. Dov Laor wurde dort zur Tora aufgerufen: »Es war wie vor 75 Jahren. Und trotzdem: Ich war als Kind nie in dem großen Saal. Unsere Ge-
bete wurden in einem kleinen Nebenraum abgehalten.« Bekannte, ehemalige Gemeindemitglieder, hat er bei der Gedenkver-
anstaltung am Sonntag nicht getroffen. »Viele meiner Freunde sind gestorben, ich bin einer der Letzten.« Dov Laor sagt das wieder ganz ruhig und nippt schnell an seiner Tasse mit schwarzem Kaffee. Er hat sich jetzt mit seiner Frau und seiner Stieftochter Iris in ein Café am Wasserturm geflüchtet, um dem deutschen Regenwetter zu entkommen. In Tel Aviv seien jetzt 30 Grad, erzählt Ilana Plaut-Laor fast sehnsüchtig.
Dov Laor tippt eine SMS in sein Mobiltelefon und steht dann ruckartig auf. »Komm, Ilana, wir müssen zum nächsten Termin!« Mittagessen im Restaurant Borchardt steht auf dem Programm. Ehrengast zu sein ist schön, sagt Dov Laor. Und stressig? Oder aufregend? »Aber nein. Es ist doch alles so gut organisiert.«