Alles im Leben dreht sich um Beziehungen. Wir haben Arbeitsbeziehungen, Be-
kanntschaften, Freunde, familiäre und intime Beziehungen. Maimonides, einer der größten Gelehrten des Judentums, schrieb, der Mensch sei ein geselliges Tier.
Mehr noch als alles andere brauchen Menschen Freunde. Wir brauchen Menschen, mit denen wir kommunizieren – wir können uns nicht damit zufrieden ge-
ben, in einem Vakuum zu leben. Auch die Psychologie argumentiert seit Langem, dass Menschen positiven sozialen Umgang notwendig brauchen, um gesund zu bleiben.
Aber wie können wir sicher sein, dass die Menschen uns um unserer selbst willen mögen und nicht, weil sie sich von einer Beziehung mit uns etwas versprechen? Vor Kurzem besuchte mich ein Mann, der einst sehr, sehr wohlhabend war. Unglücklicherweise verlor er nach einer Reihe erfolgloser Unternehmungen sein ganzes Geld. Er musste der traurigen Wahrheit ins Auge sehen, dass er nicht nur ohne einen Cent, sondern praktisch auch ohne Freunde da-
stand. Diese Tatsache schmerzte ihn viel mehr als der Verlust seines Reichtums. Das großartigste Gefühl, das ein Mensch haben kann, ist, geliebt zu werden für das, was er ist – nicht weil er reich an materiellen Gü-
tern und von hoher Intelligenz ist oder wegen seiner Ausstrahlung, sondern weil er ein Mensch ist, allen anderen Menschen gleich. Nicht mehr und nicht weniger.
Dies ist das, worum es im Monat Elul geht. An Rosch Haschana und Jom Kippur wissen wir, dass das himmlische Gericht ein Urteil über uns fällt. Wenn wir nicht bereuen und nicht bessere Menschen werden, kann uns ein gutes neues Jahr nicht garantiert werden. An Rosch Haschana und Jom Kippur haben wir persönlich viel zu gewinnen, wenn wir eine gute Beziehung zu G’tt haben.
Die Kabbalisten sagen, an Rosch Ha-
schana und Jom Kippur hätten Juden ein erhöhtes Bewusstsein der Gegenwart
G’ttes. Wie wir in der Gegenwart eines wahrhaft großen Menschen den Wunsch verspüren, diesem Menschen näherzukommen, so verspüren wir in der Gegenwart G’ttes unweigerlich den Wunsch, Ihm nahe zu sein. Wir brauchen uns nicht extra anzustrengen, um an den Hohen Feiertagen ein g’ttliches Gefühl zu haben.
Im Monat Elul jedoch wird kein Urteil über uns gesprochen, und wir fühlen nicht unbedingt die Anwesenheit G’ttes. Dennoch sagen unsere chassidischen Lehrer,
G’tt mache uns im Elul empfänglich für seine Gegenwart. Alles, was wir tun müssen, ist, Ihn zu anzuerkennen und uns zu bemühen, Ihm nahe zu sein. Das ist der schwierige Teil.
In einer Zeit, in der es uns nicht unbedingt etwas einbringt, wenn wir die Beziehung zu Ihm erneuern, ist es schwieriger, sich selbst zum Handeln anzutreiben – so wie wir uns oft extra anstrengen müssen, um die Beziehung zu Menschen zu pflegen, von denen scheinbar nichts zu holen ist. Genau aus diesem Grund ist Elul die beste Zeit, die Beziehung mit G’tt herzustellen beziehungsweise zu erneuern.
Indem wir im Elul Buße tun, lassen wir G’tt wissen, dass wir die Beziehung zu Ihm zu schätzen wissen und keinerlei Hintergedanken dabei haben. Nicht weil er uns ein besseres neues Jahr verspricht. Und nicht weil die Atmosphäre uns dazu zwingt, sondern nur um seiner selbst willen. Aus der kabbalistischen Tradition wissen wir, dass dieses altruistische Gefühl im Himmel große Freude auslöst. Hinzu kommt, dass wir auf diese Weise an Rosch Haschana und Jom Kippur nicht als Fremde an G’tt herantreten, die versuchen, zum eigenen Vorteil eine Beziehung zu ihm herzustellen. Viel besser ist es, G’tt an Rosch Haschana als echter und treuer Freund zu besuchen. Rabbi Levi Brackman
Elul