von Anya Quilitzsch
Sie umfasst mehr als 10.000 Bücher der modernen jiddischen Literatur, ist nicht kostenpflichtig und für jeden zugänglich. Die Online-Bücherei des National Yiddish Book Center in Amherst, einem kleinen Ort im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts. Für Aaron Lansky war es ein historischer Moment, als das Online-Archiv im Februar eröffnet wurde. »Diese beeindruckende Dokumentation eines Volkes, das von den Nazis ausgelöscht werden sollte, ist nun ins 21. Jahrhundert gerettet worden«, sagt der Gründer des weltbekannten Zentrums für jiddische Literatur. Lansky, der schon 1980 anfing, jiddische Literatur zu sammeln, ermöglichte in früheren Projekten rund 600 Universitäten den Zugang zu über einer Million Bücher.
Die Digitalisierung der Bücher begann schon vor zehn Jahren. Unterstützt wurde das Einscannen der Bücher mit fünf Millionen Dollar von der Spielberg-Foundation. So stehen Werke, die früher auf eher umständlichen Wegen bestellt wurden und für deren Ausleihe die Nutzer bezahlen mussten, für jeden mit nur wenigen Klicks zur Verfügung.
Zu den Topdownloads zählt zum Beispiel eine aus dem Jahr 1927 stammende jiddische Übersetzung des ersten Torakapitels. Oder Der sheydim tants, das zuerst 1936 veröffentlicht wurde oder die Gedichte (Lider) von Malka Heifetz Tussman. Dass die gesamte Literatur auch wirklich heruntergeladen werden kann und es zwischendurch keine Probleme gibt, darum kümmert sich eine in San Francisco ansässige Firma.
Denn trotz des enormen Erfolgs des Projekts gab es verschiedene Probleme. Das fing beim Einscannen der Bücher an: Jede Seite wurde einzeln fotografiert. Doch wie stellt man Bücher online, die eigentlich von rechts nach links gelesen werden? Dafür musste ein spezielles Programm, entwickelt werden. Und dann stellte sich noch das Problem des Urheberrechts. Das ließ sich nicht einfach mit der Programmierung lösen, und so kann das Archiv seine Nutzer mit zwei Werken jiddischer Autoren, denen von Isaac Bashevis Singer und Chaim Grade, nicht versorgen.
Die Grundidee des Archiv ist es, dass sich so viele Menschen wie möglich über jiddische Literatur informieren können. Aber Lansky vermutet, dass sich hauptsächlich Studenten und Lehrer für die vielen Werke begeistern werden.
Einer von ihnen ist Yuri Vedenyapin, Doktorand der Yiddish Studies an der Columbia University in New York. Für ihn bricht mit dem Archiv eine »ganz neue Ära des Unterrichtens und des Lernens« an. Er sagt: »Jiddisch war lange Zeit nicht in den einschlägigen Quellen zu finden, deshalb bietet dieses Archiv ungeheure Möglichkeiten.« Auch Debra Kaplan, Harvard-Doktorandin, findet, dass der Zugang zum Archiv die Jiddischen Wissenschaften weltweit revolutionieren wird.
Aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet Leizer Burko, der seine Doktorarbeit in moderner jüdischer Geschichte am Jewish Theological Seminary schreibt: »Für viele ultraorthodoxen Studenten, die eher selten säkulare Bibliotheken besuchen, ist das Archiv eine gute Alternative. Denn so wird ihnen der Zugang zu ihrer Sprache erleichtert.«
Das National Yiddish Book Center denkt auch schon über ergänzende Einrichtungen nach. So wird im kommenden Monat ein Studienzentrum eröffnet, in dem sich die Studenten über moderne jiddische Kultur informieren und austauschen können.