Durchstarter
Israels Industrie hat im 21. Jahrhundert
die Nase vorn
von Wladimir Struminski
Israels Wirtschaft steht vor dem ultimativen Ritterschlag. Im kommenden Jahr wird der jüdische Staat über einen Beitritt zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verhandeln. Die Mitgliedschaft im »Reichenklub der Welt« würde Israel offiziell den Status einer führenden Industrienation verschaffen. Dieses Reifezeugnis hat sich das kleine Land mit viel Mühe erarbeitet. Als der Staat Israel gegründet wurde, war er nämlich bettelarm. Es herrschten Armut und Hunger, die wichtigste ökonomische Tätigkeit war das Einbringen von Spenden.
Der Aufstieg zur Industrienation begann in den 70er-Jahren, als die ersten Hightech-Betriebe gegründet wurden. Heute stellt der Hightech-Sektor etwas mehr als ein Viertel der Industrieproduktion, macht aber die Hälfte des Industrieexports aus und trägt mit 80 Prozent zum Industriewachstum bei. In zehn Jahren werden auf technologieintensive Betriebe bereits vier Zehntel des Industrieausstoßes und das Gros der Exporte entfallen.
In gewisser Weise hat Israels Wirtschaftsentwicklung das 20. Jahrhundert übersprungen. Die klassischen Stützpfeiler der westlichen Industrie, wie Kfz-Produktion und Schwerindustrie, sucht man vergeblich. Das ist ein Vorteil, sagt Dan Catarivas, Direktor der internationalen Abtei- lung der israelischen Industriellenvereinigung. Die Hochtechnologie, auf der Israels Wachstum fußt, sei viel flexibler und könne sich schneller an die Anforderungen des Weltmarkts anpassen, als es den altherge-brachten Industriekolossen möglich sei.
Auch der Übergang von einer staatlich dirigierten zu einer offenen, weitgehend marktorientierten Wirtschaft trug zum Wachstum bei: Wer dem Wettbewerb nicht gewachsen war, ging ein, die anderen passten sich dem globalen Konkurrenzdruck an. Das Wachstum wird durch einen eindrucksvollen Aufwand für Forschung und Entwicklung gestützt. Im vergangenen Jahr lag der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben an der Wirtschaftsleistung bei 4,5 Prozent: mehr als in jedem anderen Land der Welt.
So ist Israel heute kein armer Staat. 2006 lag die Wirtschaftsleistung pro Einwohner unter Berücksichtigung der Kaufkraft des Schekel bei umgerechnet 25.500 Dollar. Das waren immerhin 81 Prozent des deutschen Niveaus. In den letzten vier Jahren ist die Wirtschaft um mehr als fünf Prozent per annum expandiert. Durch den OECD-Beitritt, ist Wirtschaftsexperte Catarivas überzeugt, gewinnt Israel erheblich an Attraktivität für ausländische Investoren, erhält Zugriff auf billigere Kredite und kann seinen Wachstumspfad besser absichern.
Gründe zum Stolz gibt es also zuhauf, nicht aber zur Selbstzufriedenheit. So etwa dürfe sich Israel nicht übermäßig auf die heute dominante Elektronikindustrie konzentrieren, betont Dafna Aviram-Nitan, Leiterin der Wirtschaftsforschung bei der Industriellenvereinigung. Sonst könnte es in Wachstumsbranchen der Zukunft wie Biotechnologie oder Umwelttechnik den Anschluss an die Weltspitze verpassen. Gleichzeitig müssten sich die technologieärmeren Branchen, von der Textilindustrie bis hin zur Metallverarbeitung, durch verstärkte Einführung modernster Produktionstechnik und ausgeklügelter Produkte rationalisieren. Schließlich schläft auch die globale Konkurrenz nicht. Auch der inzwischen besorgniserregenden Abwanderung akademischer Fachkräfte ins Ausland, forderte in der vergangenen Woche Industriellen-Präsident Schraga Brosch, müsse Einhalt geboten werden.
Der Grundton der Zukunftsdebatte bleibt aber positiv: Bei marktorientierter Politik, konsequenten Steuersenkungen und einem leistungsfähigeren Erziehungswesen, glaubt der Ex-Premier und ehemalige Finanzminister Benjamin Netanjahu, kann Israel um acht Prozent pro Jahr wachsen. Damit, rechnet der begeisterte Wirtschaftsreformer vor, wäre das Land – pro Einwohner gerechnet – in zehn Jahren eine der zehn reichsten Nationen der Welt.