Tischa Be’Aw

Durchs Schicksal verbunden

von Jonathan Magonet

Die Fastenzeit von Tischa Be’Aw erinnert an die dunkelsten Momente der jüdischen Geschichte, vor allem an die Zerstörung des Ersten und Zweiten Tempels, die beide den Beginn eines Exils vom Land Israel markieren. Die ganze jüdische Geschichte hindurch knüpften sich andere tragische Ereignisse an diesen Tag: das Gemetzel an den Juden während der Kreuzzüge, die Vertreibung aus Spanien und England, der Anfang des Ersten Weltkriegs.
In der Wüste, kurz nach dem Auszug aus Ägypten, schickten die Israeliten Kundschafter in das Land Kanaan, um mehr darüber zu erfahren. Was sie nach ihrer Rückkehr über die Macht der Einwohner be-
richteten, war so negativ, daß das Volk gegen Moses rebellierte und sogar nach Ägypten zurück wollte. Das erregte den Zorn Gottes, und deshalb mußten die Israeliten 40 Jahre lang durch die Wüste ziehen, bis eine neue Generation herangewachsen war. Der Tag, an dem sich diese Katastrophe ankündigte, war ebenfalls der 9. Aw.
Vor einigen Jahren verbrachte ich einen Sommer in Jerusalem. An Tischa Be’Aw, dem neunten Tag des Monats Aw, ging ich zur Klagemauer, um auf traditionelle Weise der tragischen Zerstörungen zu gedenken, die mit diesem Tag verbunden sind. Als ich zur Kotel kam, fand ich eine chaotische Szene vor. Einige Menschen befolgten die traditionelle Praxis: trauernd auf der Erde zu sitzen und Klagelieder und Trauerlieder zu lesen. Doch um sie herum waren andere, die in voller Absicht feierten und sich vergnügten. Diese Leute argumentierten, Tischa Be’Aw gehöre ausschließlich in die Zeit des Exils. Heute lebten die Juden wieder in ihrem Land, Jerusalem sei vereinigt und vereint, es gebe eine neue Realität, und dieser althergebrachte Fastentag sollte abgeschafft werden.
Das ist ein Beispiel für den Konflikt zwischen jüdischer Tradition und veränderten Umständen. Doch die Frage, ob man in einer solchen Zeit der Wiederkehr fasten sollte, ist nicht neu. Sie wurde bereits in biblischer Zeit von jenen gestellt, die nach 70 Jahren aus dem babylonischen Exil zurückkehrten. Einige Stammesälteste wandten sich an den Propheten Sacharja mit der Frage: »Soll ich weiterhin im fünften Monat weinen und enthaltsam sein, wie ich es so viele Jahre getan habe?« (Sacharja 7,3). Die Antwort des Propheten ist etwas rätselhaft. Er stellte die Gegenfrage: »Sag dem ganzen Volk auf dem Land und den Priestern: Ihr habt gefastet und Klage abgehalten im fünften und im siebten Monat, und das 70 Jahre lang – aber bin ich es, für den ihr so streng gefastet habt? Und wenn ihr eßt und trinkt, eßt ihr dann nicht für euch, und trinkt ihr nicht für euch?«
(Sacharja 7, 5-6).
Was der Prophet im Namen Gottes zu sagen scheint, ist folgendes: Wenn ihr gefastet habt, weil die Erfahrung des Exils euch unglücklich gemacht hat oder wenn ihr nur um eurer selbst willen gefastet habt, dann ist es sinnvoll, jetzt mit dem Fasten aufzuhören. Aber wenn ihr aus Bedauern darüber, daß ihr durch euer Verhalten Gott beleidigt, gefastet habt, dann ist euer Fasten nicht nur um eurer selbst willen, sondern es geschieht »um Gottes willen«, und ihr solltet damit fortfahren.
Der Prophet fuhr fort, ihnen ihre vorherigen Fehler aufzuzählen: die Witwe, die Waise, den Fremden und den Armen betrügen und sich gegeneinander verschwören. Es waren diese Taten, die Gott dazu brachten, sie zu bestrafen. Die Botschaft lautete: Wenn ihr die wahre Bedeutung des Fastens versteht, wird es euch jedes Jahr an eure Verantwortung für die sozial Unterprivilegierten erinnern, die unter Gottes speziellem Schutz stehen. Ist das der Grund eures Fastens, dann sollte es fortgesetzt werden, denn es erhöht die Qualität des Lebens der heutigen Gesellschaft.
Später wird der Prophet die Hoffnung äußern, daß die Zeit kommen werde, in der die ganze Trauer der Fasttage, die der Zerstörung Jerusalems und des Tempels gedenken, in Tage des Feierns und der Freude verwandelt werden. Aber bis diese Zeit heran- gekommen ist, schenkt unsere jüdische Liturgie uns Trost für die Gegenwart. Der Schabbat nach Tischa Be’Aw heißt Schabbat Nachamu – Schabbat der Ermutigung und des Trostes, an dem wir eine Lesung aus dem Buch Jesaja lesen, das mit »Tröstet, tröstet mein Volk« beginnt. Es folgen sechs Schabbatot, an denen das Lesen der prophetischen Texte Erneuerung verspricht, die zu Rosch Haschana und zu einem Neubeginn unseres spirituellen Lebens hinführt. Um den Trost würdigen zu können, der uns zuteil wird, müssen wir zunächst die ganze Tiefe der Trauer und des Leids erfassen, die das jüdische Volk erfahren hat. Indem sie die Trauer von Tischa Be’Aw und den auf das Fasten folgenden Trost unterstreicht, schenkt unsere Tradition uns eine spirituelle Erfahrung, und in unserer Vorstellung erleben wir all die Höhen und Tiefen der jüdischen Geschichte und des jüdischen Schicksals.
Ein Rabbiner fastete an Jom Kippur und dem 9. Aw, obwohl seine Familie sich große Sorgen machte, daß dies seiner Gesundheit schaden könnte. Er sagte ihnen: »Der 9. Aw ist ein trauriger Tag – wer würde an einem solchen Tag essen wollen? Und Jom Kippur ist der Tag, an dem Gott uns unsere Sünden vergab. Wer würde an einem solchen glücklichen Tag etwas zu essen brauchen?!«

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025

Weimar

Historiker Wagner sieht schwindendes Bewusstsein für NS-Verbrechen

Wagner betonte, wie wichtig es sei, sich im Alltag »gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Muslimfeindlichkeit und gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« zu engagieren

 07.04.2025

Sachsen-Anhalt

Fünf Stolpersteine in Magdeburg gestohlen

Die Tat soll sich am 1. April ereignet haben

 03.04.2025

Gastbeitrag

Vom Schweigen zum Handeln

Das Bayerische Bündnis für Toleranz ist heterogen. Doch beim Kampf gegen Antisemitismus steht es vereint

von Philipp Hildmann  03.04.2025

New York

UN: Hunderte Kinder seit Scheitern der Waffenruhe in Gaza getötet

Unicef-Exekutivdirektorin fordert die Terrororganisation Hamas und Israel auf, dem humanitären Völkerrecht nachzukommen und Kinder zu schützen

 01.04.2025